Rezension zu Sonia Combe: „Loyal um jeden Preis“

Rezension zu Sonia Combe: „Loyal um jeden Preis. ‚Linientreue Dissidenten‘ im Sozialismus“, 268 Seiten, Ch. Links Verlag, Berlin 2022, 25,00 Euro, ISBN: 9783962891411
Erschienen in: „Z. Zeitschrift marxistische Erneuerung“, Heft 134, Juni 2023, S.232-235.

Dieser Tage jährt sich der 17. Juni 1953 zum 70. Mal. Es gibt wenige Ereignisse in der DDR-Geschichte, an denen sich so exemplarisch der Stand der Aufarbeitung ablesen lässt. Die Komplexität der damaligen Ereignisse, beginnend bei sozioökonomischen und politischen Widersprüchen in der DDR, über den grassierenden Antikommunismus in der Adenauer-BRD bis hin zu europa- und weltpolitischen Interessenkonflikten, werden nicht selten auf den Freiheitskampf der DDR-Arbeiterschaft eingedampft. Dies soll keineswegs die verfehlte Normen-Politik, die stalinistischen Repressionen in der frühen DDR oder das Aufbegehren beteiligter Arbeiter für demokratische oder gewerkschaftliche Ziele relativieren. Stefan Heym brachte diese Widersprüche in „5 Tage im Juni“ in Romanform auf den Punkt. Das Trauma dieses Tages sollte die SED-Führung sowie viele Intellektuelle für den Rest ihres Lebens prägen.

Dass die Intellektuellen an diesem Tag geschwiegen haben, passt in das Bild, das Sonia Combe in „Loyal um jeden Preis“ von ihnen zeichnet. Das Verhalten der streikenden Arbeiter sei für sie nur schwer zu fassen gewesen, da es einerseits seit 1933 keine persönlichen Erfahrungen mehr mit Massenstreiks gegeben habe und zugleich die Angst vor aufgebrachten Volksmassen auf den Straßen noch aus der NS-Zeit latent vorhanden war. Im Gegensatz zur SED-Führung wollten Intellektuelle im Nachgang des 17. Juni die Ereignisse und ihre Ursachen aufarbeiten, während die Partei den Mantel des Schweigens ausbreitete. Als drei Jahre später, nach dem XX. Parteitag der KPdSU, seitens der Dichter und Denker über Entstalinisierung und Demokratisierung diskutiert werden wollte, beende Ulbricht dieses Ansinnen Ende 1956 mit der Verhaftung von Harich, Janka und deren Mitstreitern. Der folgende Schauprozess und Repressionen z.B. gegen Ernst Bloch und seine Studenten disziplinierten die Kritiker.

Viele dieser kritischen, aber im Grunde loyalen Intellektuellen hatten die dunklen Jahre des NS im Exil verbracht. Besonders jene, die im Westen ausgeharrt hatten, waren Ulbricht suspekt. Combe geht der Frage nach, warum sie überhaupt in die DDR gegangen sind. Der Titel ihres Buches ist dabei etwas irreführend, denn der Schwerpunkt liegt nicht auf allen „linientreuen“ Dissidenten, sondern auf Remigranten. Das erklärt vielleicht auch, warum einer der klügsten und wichtigsten Köpfe und der wohl „linientreueste Dissident“ von allen, Wolfgang Harich, nur wenige Male erwähnt wird.

Doch zurück zur Frage, warum die Remigranten in die DDR gegangen sind. Combe hat sich durch Archive und (Auto-)Biographien gearbeitet, um dies zu ergründen. Vielen war wichtig, wieder in der Muttersprache schreiben und arbeiten zu können. Wer kommunistisch war, wollte ohnehin nicht in die halbherzig entnazifizierte Adenauer-BRD. Zudem boten Moskau und Ost-Berlin Privilegien, Lehrstühle, Verlage oder Theater an. Bei manchen Remigranten – und häufiger noch bei ihren Lebenspartnerinnen – stellte sich bald nach der Rückkehr das Gefühl ein, in einer unwirtlichen, kaputten, öden und traumatisierten Gesellschaft gelandet zu sein, wo Antisemitismus in der Bevölkerung latent vorhanden war und Exilanten mit Skepsis oder Ablehnung begegnet wurde. Denn auch die SED musste mit jener Bevölkerung einen Staat aufbauen, die ihnen die Nazis hinterlassen hatte. Einige der Rückgekehrten vermissten das liberale Lebensgefühl des Exillandes, vorrangig die Westemigranten. Sie merkten andererseits rasch, welchen politischen Stellenwert Literatur und Kultur in der DDR einnahmen. Hatte sich in ihrem Exilland kaum jemand für ihr Schaffen interessiert, standen sie nun im Rampenlicht. Konnten sie zuvor künstlerisch frei agieren, musste nun darauf geachtet werden, nichts Unbotmäßiges zu Papier zu bringen.

Combe erzählt von jenen, die diese (unsichtbaren) Grenzen überschritten haben: Georg Lukács 1956, Ernst Bloch und Johannes R. Becher im gleichen Jahr, Heiner Müllers Ausschluss aus dem Schriftstellerverband 1961, das „Kahlschlagplenum“ vier Jahre später sowie die Biermann-Ausbürgerung und der Protest einiger namhafter Intellektueller dagegen.

Warum haben viele kritische Intellektuelle dazu öffentlich geschwiegen, warum sind sie geblieben? Auch hier gibt es vielfältige Gründe: Weiterlesen.