Rezension von „Wolfgang Harich: Schriften zur Anarchie“

Wolfgang Harich: Schriften zur Anarchie. Zur Kritik der revolutionären Ungeduld und Die Baader-Meinhof-Gruppe. Schriften aus dem Nachlass Wolfgang Harichs, herausgegeben von Andreas Heyer, Band 7. Marburg: Tectum 2014, 484 Seiten.

erschienen in: Berliner Debatte Initial 29 (2018) 2, Themenheft „Marx und der Anarchismus“

Wer sich bis vor einigen Jahren mit dem DDR-Philosophen Wolfgang Harich beschäftigen wollte, konnte nur auf Primär- und Sekundärliteratur zurückgreifen bzw. für weitere Recherchen das Bundesarchiv und die BStU-Bestände heranziehen. Der Nachlass des 1995 verstorbenen Philosophen – unveröffentlichte Manuskripte, Vorlesungen, Notizen u. a. – galt als unerreichbar für die Forschung. Nach dem Tod Harichs kam es zum Konflikt zwischen dessen Witwe und einigen seiner (teils selbsternannten) Schüler, die den Nachlass für sich beanspruchten. Anne Harich verbrachte daraufhin alle Unterlagen ins Archiv für Sozialgeschichte Amsterdam. Dort lagen die Dokumente anderthalb Jahrzehnte, ehe Andreas Heyer in Zusammenarbeit mit Harichs Witwe den Dokumentenbestand sichten und editieren konnte. Seit 2013 erscheinen die von ihm herausgegebenen „Schriften aus dem Nachlass“. Bisher wurden neun Bände veröffentlicht, verteilt auf elf Bücher. Weitere sollen folgen.
Harich befasste sich als Philosoph und Literaturwissenschaftler mit der deutschen Aufklärung und dem Idealismus. Darüber hinaus interessierten ihn die aktuellen (linken) Debatten in Ost- und Westdeutschland, in die er sich regelmäßig einzumischen versuchte. Am bekanntesten ist sicherlich sein Opponieren gegen Ulbricht 1956, als er Vorschläge zu einer umfassenden Demokratisierung der DDR mit dem Ziel unterbreitete, diese für ein wiedervereintes, blockfreies und entmilitarisiertes Deutschland vorzubereiten. Das oppositionelle Agieren bezahlte er mit einer langjährigen Zuchthausstrafe. 1964 erlangte
Harich die Freiheit zurück und blieb bewusst in der DDR. Forderungen nach einer Demokratisierung der Gesellschaft waren von dem überzeugten Marxisten nun nicht mehr zu vernehmen, im Gegenteil: Er wurde zum Fürsprecher einer parteiavantgardistischen „Diktatur des Proletariats“, die er als notwendige Übergangsphase hin zum Kommunismus betrachtete. Vor diesem Hintergrund wandte er sich gegen jene Teile der westdeutschen und -europäischen „Neuen Linken“, die er als „Neo-Anarchisten“ bezeichnete.
Seine 1971 als Graudruck erschienene Schrift „Zur Kritik der revolutionären Ungeduld. Eine Abrechnung mit dem alten und dem neuen Anarchismus“ ist in Band 7 der „Schriften aus dem Nachlass“ neu abgedruckt. Der Herausgeber hat die zahlreichen Satzfehler korrigiert, somit erscheint der Text nun erstmals in der von Harich gewünschten Form. Zudem hat er weitere Texte zum Thema beigefügt, anhand derer die Entwicklung von Harichs Denken nachverfolgt werden kann. Manuskripte, die sich mit der RAF beschäftigen bzw. an diese adressiert waren, werden erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht…

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