Rezension von: Ulrich Mählert (Hg.): Die DDR als Chance. Neue Perspektiven auf ein altes Thema

Ulrich Mählert (Hg.): Die DDR als Chance. Neue Perspektiven auf ein altes Thema. Berlin: Metropol-Verlag 2016, 220 Seiten.

erschienen in: Berliner Debatte Initial 27 (2016) 4, S. 131–134

Auszug:
Die DDR-Aufarbeitung wird von gut finanzierten staatlichen oder staatsnahen Instituten dominiert, die starken Einfluss auf Themenset- zungen, die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses und Publikationen haben. Leicht kann aus einer solchen Dominanzstellung heraus ein Tunnelblick entstehen, der Ignoranz gegenüber Forschungsergebnissen außerhalb der eigenen Strukturen nach sich zieht. Zugleich geht damit die Gefahr einer inhaltlichen Verengung einher, die sich in einer Schrumpfung des Themenspektrums zeigen kann. Daran krankt auch die DDR-Aufarbeitung, so zumindest der äußere Eindruck. Die großen Themen sind weitestgehend ausgeforscht. Auf den 17. Juni 1953 trifft dies genauso zu wie auf Mauerbau und -fall, die SED-Gründung, das „Kahlschlagplenum“ oder die Biermann-Ausbürgerung. Hierzu werden höchstens noch in den halbverschütteten Schützengräben des verblichenen Kalten Krieges alte ideologisch aufgeladene Konflikte bis zum Dahinscheiden der Zeitzeugen ausgefochten. Wenn die DDR-Forschung also nicht auf diesem Wege gleichfalls an ihr Ende – und somit an den Punkt der Infragestellung ihrer Legitimierung – kommen will, so braucht sie neue Impulse, andere Themen und interessierten, ideologisch unvorbelasteten wissenschaftlichen Nachwuchs. Die Erkenntnis, dass eine Art Frischzellen- kur nötig ist, hat die „Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur“ dazu geführt, einen Sammelband unter dem Titel „Die DDR als Chance. Neue Perspektiven auf ein altes Thema“ zu veröffentlichen.

Für die DDR-Forschung ergeben sich davon abgesehen tatsächlich noch viele interessante Forschungsfragen, z. B. die nach den Funktionsbedingungen der 40-jährigen Systemstabilität oder nach der Mentalität der Ostdeutschen. Hier ist jenen Autoren zuzustimmen, die für eine interdisziplinäre Sichtfelderweiterung plädieren. Wenn Andrew Port Recht hat und eine Neusichtung der Akten aus anderen Blickwinkeln lohnt, dann spricht auch wenig gegen DDR-Aufarbeitung aus Disziplinen wie Politikwissenschaft, Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Literatur- und Kulturwissenschaft oder Architekturgeschichte – die es an Universitäten ja teilweise längst schon gibt. Ein Schritt weg von der beklagten „Verinselung“ wäre dann nur noch, diese Forschungsergebnisse auch wahrzunehmen und interdisziplinär bzw. institutionsüberschreitend zu diskutieren.