Günter Benser: Ulbricht vs. Adenauer. Zwei Staatsmänner im Vergleich, spotless im Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2015, 125 Seiten
Rezension zuerst erschienen auf der Homepage der LINKEN Bremen.
Nach heute gängigem Geschichtsbild war Konrad Adenauer ein großer Staatsmann, derjenige, der die Bundesrepublik an den Westen gebunden und den Weg der Freiheit bereitet hat. Leise Kritik an ihm vernimmt man höchstens in Bezug auf den laschen Umgang mit Naziverbrechern. Das „Wirtschaftswunder“, die (West-)Europäische Annäherung und die „Heimkehr der Zehntausend“ 1955 aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft überstrahlen jedoch diesen „Makel“.
Im Gegensatz dazu wird der erste starke Mann im anderen deutschen Teilstaat heute auf sein Zitat „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“ und auf seine oft parodierte sächsische Fistelstimme reduziert. Als erfolgreichen, ernstzunehmenden Staatsmann betrachtet man ihn nicht. Dieses Bild existierte schon in der alten Bundesrepublik und wurde nach 1990 gesamtdeutsch fortgeschrieben – auch weil viele Ostdeutsche Ulbricht ebenfalls nicht mochten und deshalb nicht verteidigten.
Eine Geschichte seines (politischen) Lebens ohne Hervorhebung oder Apologetik von zuhauf begangenem Unrecht fällt bis heute nicht leicht, wird Ulbricht doch unmittelbar mit dem 17. Juni, mit Mauerbau und Mauertoten, sowie dem Kahlschlagplenum 1965 in Verbindung gebracht. Für heutige und zukünftige Linke gilt er nicht als Bezugsperson – im Gegenteil.
Günter Benser versucht nun, Ulbricht ganz nüchtern als politischen Entscheidungsträger zu betrachten. Methodisch geschickt verpackt er die Analyse in einen unmittelbaren Vergleich mit Adenauer, auch wenn er selbst weiß: „Streng genommen werden solche Vereinfachungen beiden Politikern nicht gerecht.“ (11)
Dabei verfährt Benser auf zwei Ebenen: der persönlichen und der politischen (insoweit man diese trennen kann). Er stellt beide Lebensläufe kurz dar, beginnend mit der jeweiligen Sozialisation im bürgerlich-katholischen bzw. proletarischen Milieu des Kaiserreichs. Die Wege in die Politik werden beschrieben, gipfelnd nach 1945 mit der Funktion als jeweils erster Mann im westlichen bzw. östlichen deutschen Teilstaat. Damit ist auch die zweite, die politische Ebene erreicht.
Hier finden sich durchaus Parallelen, wenngleich unter diametralen ideologischen Vorzeichen: „Politiker zum Anfassen“ (15) seien z.B. beide nicht gewesen, dafür politische Strategen mit Interesse für Informationen und deren Nutzbarkeit für die eigene Macht. Demokratie habe für beide eher ein Mittel zum Zweck als einen Selbstzweck dargestellt. Ulbricht hatte es hier jedoch leichter, musste er nicht die Kraft aufwenden, um „den eigenen Willen zum Willen der Mehrheit“ zu machen. (19f.) Während Adenauer Handlanger wie Globke hatte, um den politischen Gegner zu bekämpfen, agierte Ulbricht hier häufig selbst, und machte sich z.B. beim Vorgehen gegen Merker, Dahlem, Zaisser, Herrnstadt und Schirdewan persönlich die Hände schmutzig. Während Ulbricht nur Moskau unterstand, musste sich Adenauer auch gegenüber den selbstgewollten Instanzen des bürgerlichen Rechtsstaates rechtfertigen. Beide haben ihre Rolle als Staatsmann jeweils mit einem hohen Arbeitspensum absolviert und sind – eine weitere Gemeinsamkeit – unfreiwillig gegangen worden. (22)
Trotz aller Parallellen dominieren jedoch die Unterschiede, vorrangig geprägt durch Weltbild und Herkunft. Wuchs Adenauer im Bürgertum auf und bekam so eine hohe Allgemeinbildung mit auf den Lebensweg, musste sich der Arbeitersohn Ulbricht alles selbst beibringen. Benser meint, dass er hier Adenauer überholt habe – zumindest in Bezug auf die Geschichtskenntnisse. Benser muss es wissen, war er doch als Historiker an der unter Ulbrichts Regie entstandenen achtbändigen „Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“ beteiligt. Ulbricht hatte zwar umfassende historische Kenntnisse, interpretierte diese aber nach seiner verkürzten marxistisch-leninistischen Geschichtsperspektive. Benser schreibt, dass Ulbricht auch das Geschichtswissen und -bewusstsein der Bevölkerung heben wollte, um auf diese Weise aktuelle politische Entscheidungen besser begründen zu können. Adenauer hingegen zeigte sich weniger geschichtsinteressiert – wobei auch er historische Ereignisse politisch zu nutzen suchte.
Exemplarisch arbeitet das Benser in der zweiten Hälfte des Buches ab. Anhand der unterschiedlichen Interpretation historischer Großereignisse und Zäsuren von 1848 bis 1945 durch Adenauer und Ulbricht zeigt er deren jeweiligen Umgang mit Geschichte auf. Während Ulbricht die Moskauer Sicht vertrat, beharrte Adenauer auf erzreaktionären Einschätzungen. Für ihn war Berlin „heidnisch“, die Grenzen von 1937 hatten auch nach 1945 Geltung, das deutsche Volk wurde 1933 verführt und Versailles sowie das Potsdamer Abkommen empfand er als Unterdrückung.
Adenauer und Ulbricht mussten sich als Regierungschefs so oder so der Weltpolitik unterordnen. Sie taten dies, indem sie jeweils die Grenzen auszuloten versuchten. Dabei blieben sie dem Weltbild treu, in das sie in ihrer Jugend hineinsozialisiert wurden.
Bensers Buch ist ein unorthodoxer Versuch eines Vergleiches. Es trägt eher essayistischen Charakter, was es auch als Einführung in das Leben und Werk zweier Staatsmänner lesenswert macht.