Kulturbund 1945-1948

Rezension von: Prokop, Siegfried/Zänker, Dieter: Einheit im Geistigen? Protokolle des Präsidialrates des Kulturbundes 1945-1948, Berlin 2015
in: Z. Zeitschrift marxistische Erneuerung, März 2016, S. 215–217.

Die Befreiung im Mai 1945 bedeutete das Ende der Nazibarbarei. Doch wie sollte es weitergehen? Wie konnte man mit der Last dieser 12 Jahre im Rücken überhaupt noch nach vorn blicken? Was sollte man mit einer Bevölkerung anfangen, die sich nun zwar gern ahnungslos gab, letzten Endes aber aus Tätern, Mitläufern oder Angepassten auf der einen Seite und Gepeinigten und befreiten Opfern auf der anderen Seite bestand? „Die Mörder sind unter uns“ – so brachte es 1946 der Titel des ersten Nachkriegsfilms auf den Punkt. Was tun also mit diesem Erbe?
Über den Umgang mit Altnazis in der Bundesrepublik zwischen Adenauer und Achtundsechzig ist viel gesagt worden. Auch über den Umgang mit ihnen in der DDR wird spätestens seit 1989 diskutiert und geforscht. Der Streit verläuft hier zwischen jenen, die im „staatlich verordneten Antifaschismus“ einen Gewinn sehen und jenen, die ihn als Schimpfwort im Munde führen.
Diese Debatten sind hinlänglich bekannt und bis heute vom Kalten Krieg geprägt. Dessen Beginn wird häufig auf den 5. März 1946 datiert, den Tag, an dem Churchill in einer Rede den „Eisernen Vorhang“ erstmals öffentlich erwähnte. Weniger bekannt sind die Debatten zwischen Mai 1945 und der merklichen Spaltung zwischen Ost und West wenige Jahre später. Hier war gerade kurz nach Ende des Krieges mehr offen, als man heute gängigen Geschichtsbildern zufolge vermuten kann. Andererseits waren durch die Abkommen der Alliierten die Handlungsspielräume für den Aufbau eines neuen Deutschland nicht unbegrenzt.
Viele innen- und (vor allem) außenpolitische Faktoren bedingten das Handeln der damaligen Akteure. Einer davon war der am 3. Juli 1945 gegründete Kulturbund. Dessen Führung oblag einem Präsidialrat bzw. dem dort angegliederten Arbeitsausschuss. Die Protokolle der damaligen Zusammenkünfte haben nun Siegfried Prokop und Dieter Zänker editiert. Der dabei zustande gekommene Band setzt sich aus einer ausführlichen Einführung und einer chronologischen Zusammenstellung der Präsidialratsprotokolle zusammen.
Einleitend wird das Selbstverständnis der Gründerväter (es waren fast ausschließlich Männer) dargestellt: „Der frühe Kulturbund war das beidseitig gewollte und in der deutschen Geschichte bisher einmalig dastehende Dialogforum von sozialistischen, christlichen, bürgerlichen und atheistischen Intellektuellen“ (6) Der Präsidialrat konstituierte sich am 8. August 1945, zum Vorsitzenden wurde Johannes R. Becher gewählt. Bei der ersten Sitzung ging es um die zu schaffenden Strukturen für den Kulturbund, seine zu gründende Zeitschrift und den angegliederten neuen Aufbau-Verlag. Weitere Themen waren der Umgang mit Alt-Nazis, der Aufbau des Kulturbundes in Gesamtdeutschland und die Frage von Lizenzen für Exilliteratur. Als Arbeitsschwerpunkte setzte man sich selbst die Deutsche Einheit, die Einbindung der Öffentlichkeit in die Nürnberger Prozesse und eine Schulreform. Diskutiert wurde im Präsidialrat über vieles. Beispielsweise ging es um Formen von Demokratie, den Aufbau des neuen Deutschland (soll es föderalistisch sein oder nicht?) und die Frage, ob man „Reich“ oder besser „Deutschland“ sagen sollte.
Etwa ein Jahr nach der Gründung war aufgrund des starken Anwachsens der Organisation eine Neustrukturierung nötig geworden. Dem Präsidialrat wurde nun ein ständiger Arbeitsausschuss zur Seite gestellt. Zugleich wurde der Kulturbund in der SBZ wählbar – und somit im beginnenden Kalten Krieg im Westen argwöhnischer beäugt. Bereits im Mai 1947 beklagte man sich in den Protokollen über Behinderungen der eigenen Arbeit im Amerikanischen Sektor Berlins. Im Sommer 1948 zeichnete sich schließlich eine endgültige Orientierung des Kulturbundes hin zu „den Völkern, die den Krieg […] nicht“ wünschen ab. Zur ersten großen Zäsur kam es im September 1948, als in Abwesenheit der Vizepräsident und das Gründungsmitglied Ferdinand Friedensburg rausgeworfen wurde, da er Westberliner Politik mit verantwortete. Er bekam keine Möglichkeit einer Rechtfertigung oder Verteidigung. Friedensburgs Präsidiumskollege Robert Havemann bedauerte die Art und Weise des Rauswurfes (S.496). Andere Mitglieder verließen gar aus Protest den Kulturbund.
Apropos Havemann: Im umfangreichen aber dennoch lückenhaften Personenverzeichnis wurde nicht nur Stalin vergessen, sondern es fehlt leider auch der Name Havemanns, obwohl er im Buch häufiger genannt und auch bei den biographischen Angaben zu den wichtigsten Personen auf Seite 503 aufgeführt wird. Bekanntlich war er nicht nur im Kulturbund aktiv, sondern fungierte bis Anfang der 60er Jahre als Mehrfachfunktionär in etlichen Leitungspositionen von Wissenschaft, Staat und Partei. Nach seinem Bruch mit der SED-Führung und dem Rauswurf aus allen Ämtern avancierte er ab Ende der 60er Jahre zum bekanntesten „Dissidenten“ der DDR. Seine Forderungen, die er über die Westmedien verbreiten musste, zielten auf einen demokratischen Sozialismus mit verwirklichten Bürger- und Menschenrechten. Seine frühen Äußerungen aus den Kulturbundprotokollen sind vor dem Hintergrund dieser späteren Entwicklung sehr interessant – allerdings weniger verfänglich, als man vermuten könnte.
Wo taucht Havemann also im Buch auf? Zunächst wird er bei der Auflistung der am 12. Februar 1946 in den Präsidialrat Gewählten genannt. Auch findet Erwähnung, dass ihn Becher erfolgreich für die Wahl in den Präsidialausschuss vorschlug. (174 ff.) Im Juli 1946 wurde über die Frage diskutiert, ob der Kulturbund bei Wahlen antreten soll. Im Protokoll heißt es: „Prof. Havemann äußert, es könnte von vielen Personen begrüßt werden, wenn ein überparteilicher Bund Kandidaten aufstellt, von denen sie wissen, dass sie überparteilich sind. Das sei durchaus vertretbar, und in einigen Jahren würde der Verdacht, zu einer bestimmten Partei zu gehören, nicht mehr auf den Kulturbund fallen.“ (185) Er konnte sich mit diesem Standpunkt nicht durchsetzen, und es fiel einstimmig der Beschluss, nicht anzutreten. Ob aus politischem Kalkül oder aus Überzeugung: Havemann forderte schon 1946 eine überparteiliche Wahlalternative zur frisch gegründeten SED.
In einer Diskussion über die Lage der Jugend meinte Havemann, dass diese keine Ideologie wolle, sondern lieber Wissen erwerben. Hier müsse der Kulturbund agieren und eine Demokratisierung unterstützen. Als Problem sah er hierbei die Besatzungsmächte, gegen die sich „national revolutionäre Gedanken“ entwickeln würden. Die Bekämpfung der NS-Ideologie jedoch, die vielen Jugendlichen in den 12 Jahren indoktriniert wurde, sah er als wichtige Aufgabe. Es müsse alles getan werden, „um den Schutt der reaktionären Ideologie“ zu beseitigen und über Demokratie zum Sozialismus zu kommen. Dazu sei auch die inhaltliche Abarbeitung an reaktionären Theoretikern nötig: „Man müsse sich auch mit solchen Menschen wie Jünger auseinandersetzen, öffentlich mit ihnen diskutieren und sie nicht totschweigen. Die wenigen wirklichen Demokraten müssten sich ganz klar von der Besatzungsmacht distanzieren, ohne damit natürlich in eine Angriffsstellung zu gehen.“ (203)
Die öffentliche Abgrenzung von den Besatzungsmächten zum Zwecke des Loyalitätsgewinns in der Bevölkerung hielt Havemann auch zwei Jahre später noch für wichtig. Vor dem Hintergrund des beginnenden Kalten Krieges forderte er am 12. November 1948, dass der Kulturbund seine Überparteilichkeit verdeutlichen müsse. Es solle die Unabhängigkeit von der sowjetischen Besatzungsmacht öffentlich gezeigt und für Freiheit und Unabhängigkeit eingetreten werden. (494 f.)
Havemann zählte also schon kurz nach dem Krieg nicht zu den Hardlinern, auch wenn er sich selbst rückblickend auf diese Zeit als Stalinisten bezeichnete. Dass sich ein solch eigenwilliger Kopf später nicht der Führung Ulbrichts dauerhaft unterordnen konnte oder wollte, erscheint in der Rückschau fast schon unvermeidlich.
Die Protokolle zeigen auf, dass die Intellektuellen im Präsidialrat bemüht, aber in ihrem Handeln durch externe politische Interessen zunehmend eingeschränkt waren. Inwieweit der Kulturbund anfangs tatsächlich völlig neutral und unabhängig war, wird wohl umstritten bleiben. Exemplarisch hierfür sind sicherlich die Überlegungen des Kommunisten Havemann zur strategischen Überparteilichkeit der Organisation. Allerdings handelte es sich mit ziemlicher Sicherheit in den Anfangsjahren beim Kulturbund nicht um eine von Moskau fremdgesteuerte Institution zur „Rotlichtbestrahlung“ oder politischen Instrumentalisierung von Intellektuellen – das geht aus den sehr lesenswerten Protokollen eindeutig hervor.