„Revolution gegen Kaiser und Krieg, für demokratische Republik, Frieden und gar Sozialismus?“

Bericht zur Konferenz des Vereins „Helle Panke“ am 14. April 2018

erschienen in: Mitteilungen des Förderkreises Archive und Bibliotheken zur Geschichte der Arbeiterbewegung, Heft 54 (September 2018), S. 36-38.

Der 100. Jahrestag der Novemberrevolution ist ein Highlight im an geschichtspolitischen Jubiläen alles andere als armen Jahr 2018. Für den Herbst ist mit einer Vielzahl an Veranstaltungen zu rechnen. Nicht nur unser Förderkreis war hier im Frühjahr Vorreiter, sondern auch die Helle Panke. Am 14. April fand in den Räumen des Vereins im Prenzlauer Berg die Konferenz „Revolution gegen Kaiser und Krieg, für demokratische Republik, Frieden und gar Sozialismus?“ statt. Wie die Überschrift vermuten lässt, ging es um unterschiedliche Sicht- und Rezeptionsweisen des historischen Ereignisses. Unterschiedliche Akteurinnen und Akteure wurden hervorgehoben: Die Räte, die USPD in Thüringen, einzelne Gruppen und Revolutionäre – und vor allem die Frauen in der Revolution. Ihnen widmeten sich gleich mehrere Vorträge.
Eröffnet wurde die Konferenz durch Stefan Bollinger (Berlin), der eine Gesamtschau der Ereignisse mit unterschiedlichen Aspekten entwarf. Gerhard Engel (Am Mellensee) referierte im Anschluss über die Räte in der Novemberrevolution. Diese seien im Herbst 1918 spontan entstanden, nach dem Vorbild der Sowjets in Russland. Hauptsächlich Industriearbeiter aus den Ballungszentren sowie Soldaten waren darin organisiert. Die Räte haben eine Massenbasis dargestellt, die einen großen Anteil am Zurückdrängen der Konterrevolution gehabt habe. Im ersten Halbjahr 1919 radikalisierten sich die Räte aus Enttäuschung über die politischen Entwicklungen, so Engel. Sie verloren an politischem Einfluss. Dazu trugen weitere Defizite bei: Räte konzentrierten sich auf die Ballungszentren und existierten kaum in der Provinz, es waren fast keine Frauen vertreten und zudem mangelte es an politischer Qualifikation für eine dauerhafte Etablierung. Engel gibt ihnen aber nicht die Schuld daran, dass die Novemberrevolution nicht den Sozialismus brachte. Für dessen dauerhafte Etablierung gab es seiner Meinung nach 1918/19 nämlich keine ernsthafte Chance.
Die SPD hatte daran sicherlich ihren Anteil, die Realitäten – gerade in der Fläche – aber auch. Über die Ereignisse hier sprach am Beispiel Thüringens Mario Hesselbarth (Jena). Das Land habe unmittelbar 1918 in der Novemberrevolution keine große Rolle gespielt und war in 8 Fürstentümer fragmentiert. Das Ende der Monarchie sei hier überall unterschiedlich verlaufen, gleiches galt für die Parteien. Bedeutend damals sei die USPD gewesen, vor allem in den Städten. Aus ihren Versammlungen heraus habe sich Ende 1918 erst die revolutionäre Bewegung Thüringens entwickelt. Wilhelm Bock formulierte im Gothaer Tivoli den Anspruch, das Erbe der SPD fortzuführen, also sozialistisch aber nicht bolschewistisch sein zu wollen. Die USPD war Anfang 1919 stark in Thüringen, die linken Errungenschaften ihrer Politik wurden jedoch im Frühjahr 1919 von der Reichsregierung kassiert, Reichswehr und Freikorps marschierten in Gotha ein, wo es zuvor gelungen war, Räte und Abgeordnete zusammenzubringen.
Über die Parteigründungen und die Spaltung der Linken sprach Ottokar Luban (Berlin). Während des Krieges sorgten Repressionen dafür, dass linksradikale Kooperationen und Vernetzungen stattfinden konnten. Nach der Revolution sei der Spartakus bewusst in der USPD geblieben, weil er organisatorisch zu schwach zum Überleben gewesen wäre. Luban schilderte, wie Luxemburg im Dezember eine Partei gründen wollte, dass dies dann 1919 geschah und somit neben MSPD und USPD noch eine dritte Partei für die Spaltung der Arbeiterbewegung sorgten, was 1920 mit der erneuten Spaltung der USPD noch fortgeführt wurde. Lubans Lehre daraus: „Spaltung schwächt die Arbeiterschaft“.
Dietmar Lange (Berlin) wagte den Blick auf ein Jubiläum, dass erst im kommenden Jahr ansteht: die Märzkämpfe 1919 in Berlin. Im Gefolge der (konter-)revolutionären Ereignisse kam es Anfang März zum Generalstreik in Berlin. Gustav Noske ließ die Freikorps einmarschieren. Die Situation eskalierte, bis am 8.3. der Streik beendet wurde. Die Freikorps blieben jedoch, und im Osten der Stadt kam es bis zum 12.3. zu erbitterten Kämpfen. Rote Arbeiter kämpften gegen die Freikorps, die mit schweren Waffen (Tanks, Minenwerfer, Giftgas) vorgingen. Eine Falschmeldung über ermordete Polizisten bot Noske den Anlass, einen Schießbefehl zu erlassen, der die sofortige Hinrichtung bewaffneter Personen vorsah. Daraufhin kam es zu einer Welle willkürlicher Hinrichtungen und Massenexekutionen. Laut Noske gab es insgesamt 1200 Tote. Das Massaker war ein Exempel gegen die Berliner Arbeiterbewegung.
Vier Vorträge widmeten sich Frauen in der Novemberrevolution. Gisela Notz (Berlin) schilderte den langen Kampf um das Frauenwahlrecht seit dem späten 19. Jahrhundert. Bürgerliche Frauen haben damals nur gleiche Rechte für Frauen ihrer Klasse angestrebt, nicht für Arbeiterinnen. Auch die SPD sei eher zurückhaltend gewesen, fürchtete sie doch, dass Frauen eher patriarchale, also rechte Parteien wählen würden. Ein zähes Ringen zu Beginn des 20. Jahrhunderts brachte Fortschritte im Kampf um das Frauenwahlrecht, welches schließlich 1918 durchgesetzt werden konnte. Bei der Wahl zur Nationalversammlung Anfang 1919 seien dann 41 weibliche Abgeordnete ins Parlament eingezogen – ein Wert, der in der Bundesrepublik erst bei der Bundestagswahl 1983 wieder erreicht werden konnte!
Marga Voigt (Berlin) stellte im Anschluss von ihr herausgegebene Briefe Clara Zetkins vor, die sich mit der Novemberrevolution und weiteren Ereignissen aus der Zeit zwischen 1915 und 1920 beschäftigten.
Dass der Freistaat Bayern von Kurt Eisner gegründet und als erstem Ministerpräsidenten regiert wurde, dürfte nicht jedem „Preißn“ bewusst sein. Christiane Sternsdorf-Hauck (München) hat in ihrem Vortrag über die revolutionären Ereignisse im Süden explizit auf diesen Sachverhalt hingewiesen. Neben dem am 21.2.1919 von Freikorps ermordeten Eisner widmete sich die Referentin insbesondere den Frauen in der Revolution. An Großdemonstrationen, wie beispielsweise am 17.11.1918 auf der Theresienwiese, waren sehr viele Frauen beteiligt. Die Räte hingegen blieben eine Männerdomäne: Frauen durften sie weder wählen, noch durften beispielsweise Dienstmädchen Mitglied werden.
Weitaus mehr Gleichberechtigung gab es im Syndikalistischen Frauenbund SFB innerhalb der Freien Arbeiter-Union Deutschland (FAUD), wie Vera Bianchi (Hamburg) zu berichten wusste. Im SFB waren bis zu 1000 Frauen organisiert. Er verstand sich als gewerkschaftliches Organ der Hausfrauen. Es wurden mehrere Zeitschriften publiziert, in denen die tradierten Rollenbilder jedoch nicht völlig überwunden wurden. Das Frauenwahlrecht spielte für diese Organisation aufgrund ihrer antiparlamentarischen Grundhaltung übrigens keine Rolle.
Die Konferenz zeigte die Komplexität und Widersprüchlichkeit der Ereignisse vor einhundert Jahren auf, wie Bollinger in seinem Schlusswort betonte. Aktualität für heutige und zukünftige Politik ergebe sich zudem aus der Frage, was bzw. wer „die Massen“ sind und mit welchen Mitteln gesellschaftliche Transformationen gelingen könnten. Hierzu gehöre auch die Art der Organisierung.
Beiträge der Konferenz können auf www.helle-panke.de nachgehört sowie in publizierter Form bestellt werden.