in: konkret, Heft 3/2016
Autor: Johannes Hauer
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Die politische Grenzziehung entlang polizeilicher Vorgaben hat zur Folge, dass die komplette Geschichte sozialistischer Ökologie in Theorie und Praxis bei Degrowth Anathema ist. Es ist daher sehr verdienstvoll, dass Alexander Amberger in seiner Dissertation Bahro – Harich – Havemann. Marxistische Systemkritik und politische Utopie in der DDR einige weithin vergessene ökosozialistische Positionen in Erinnerung ruft. Amberger zeichnet zunächst die offiziellen Reaktionen auf den Bericht des Club of Rome im sozialistischen Lager nach. Während die DDR einerseits schon 1971 ein Umweltministerium einrichtete, wurden ökologische Probleme andererseits vertuscht und als Folgeerscheinungen privatwirtschaftlichen Profitstrebens exterritorialisiert. Gleichzeitig entwickelte sich unter Honecker das Ideal einer sozialistischen Konsumgesellschaft und dementsprechend eines kontinuierlichen Wachstums der Produktionskapazität.
Die Studie über die »Grenzen des Wachstums « stand also bei ihrem Erscheinen im Widerspruch zu den wirtschaftspolitischen Zielsetzungen der SED und stieß dementsprechend auf Ablehnung in der Publizistik der DDR. So hieß es, die Wachstumskritik sei eine ideologische Volte des Kapitals, um die kapitalistische Krise zu verschleiern und die Erfolge des Sozialismus im Systemwettbewerb kleinzureden. Die Umweltzerstörung sei letztlich ein Folgeproblem der Eigentumsverhältnisse, das sich mit der staatssozialistischen Planung der Produktion in Luft auflöse.
Der offizielle Produktivismus blieb jedoch seinerzeit auch unter sozialistischen Intellektuellen nicht unwidersprochen. So veröffentlichten mit Wolfgang Harich (Kommunismus ohne Wachstum. Babeuf und der Club of Rome), Rudolf Bahro (Die Alternative. Zur Kritik des real existierenden Sozialismus) und Robert Havemann (Morgen. Die Industriegesellschaft am Scheideweg) gleich drei SED-Abtrünnige Schriften, die eine Kritik an der realsozialistischen Gegenwart mit utopischen Perspektiven auf eine ökosozialistische Postwachstumsgesellschaft verbanden. Bei ihrem Erscheinen in der BRD wurde den Werken vor allem aufgrund ihrer Kritik der bürokratischen Herrschaft viel Aufmerksamkeit auch durch bürgerliche Medien zuteil, ihre kommunistisch-utopischen Gegenentwürfe stießen naturgemäß auf wenig Interesse. 25 Jahre nach der Implosion des Staatssozialismus hat sich dieses Verhältnis umgekehrt: »Ihre Utopien sind anachronistisch und hochaktuell zugleich. Anachronistisch sind sie, weil der historische Entstehungskontext wenig mit der Gegenwart gemein hat. Aktuell sind sie hingegen bezüglich der Wachstumskritik und der Entwicklung von Postwachstumsmodellen« (Amberger).
Bei aller Enttäuschung über die ökologische Ignoranz ihrer Genossen hatten die Genannten mit ihnen doch eines gemein: Aufgrund ihrer Analyse der kapitalistischen Produktionsweise hielten sie diese für denkbar ungeeignet, den Erfordernissen der Biosphäre mittelfristig gerecht werden zu können. Doch ist der Bruch mit der Klassengesellschaft zwar eine notwendige Bedingung für eine nachhaltige Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen der Gattung, für sich genommen aber noch keine hinreichende. Hier kommen bei allen Autoren Motive des postmaterialistischen Diskurses ins Spiel, der auch von der westlichen Ökologiebewegung gepflegt wurde. In den Postwachstumsutopien der DDR-Autoren wird die Umwälzung des kulturellen Überbaus und der Bedürfnisstruktur jedoch materialistisch, das heißt auf der Grundlage einer Revolutionierung der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse gefasst. In der so entstehenden »neue(n) Ökonomie der Zeit« (Bahro) löst die individuelle Mußezeit die Kapitalverwertung als obersten Zweck gesellschaftlicher Wirtschaftsplanung ab: ein Programm, das vom Gedanken kollektiver Selbstermächtigung statt von der Predigt individuellen Verzichtes getragen ist.
Zwar haben diese utopischen Entwürfe ihrerseits allesamt gewichtige Leerstellen und pinseln allzu unbekümmert Bilder gesellschaftlicher Harmonie aus, wie Amberger nachvollziehbar herausarbeitet. Sie bleiben gleichwohl nicht nur wegen ihrer nüchternen Analysen fruchtbar für die heutige sozialökologische Diskussion um die Grenzen des Wachstums, sondern auch weil sie einer bislang auf Holzwegen wandelnden »Wachstumskritik« politische Perspektiven jenseits von Lebensreform und technokratischem Krisenmanagement aufweisen.