Energiewende als Wertewandel

Klaus Töpfer und Ranga Yogeshwar fordern eine kulturelle Revolution

Rezension von:
Klaus Töpfer/Ranga Yogeshwar: Unsere Zukunft. Ein Gespräch über die Welt nach Fukushima, 234 S., Verlag  C.H.Beck, München 2011, 19,95 Euro.
Zuerst veröffentlicht in: neues deutschland vom 31.12.2011

Der ehemalige CDU-Bundesumweltminister Klaus Töpfer und der ARD-Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar (»Quarks & Co.«) führten im Sommer einen Dialog über die Widersprüche der Atomkraft nach Fukushima, der nun in Buchform vorliegt. Sie thematisieren darin die Zukunft der Energieversorgung auf Basis der Erneuerbaren. Daneben greifen sie weitere Krisenfelder der Gegenwart auf. Einerseits kommen dabei bemerkenswerte Einsichten heraus, andererseits stoßen Töpfer und Yogeshwar jedoch regelmäßig an Grenzen, wenn systemimmanente Mechanismen des Kapitalismus in Frage gestellt werden müssten. 

Beide teilen den Standpunkt, dass Atomkraft nie hundertprozentig sicher sein kann. Deshalb begrüßen sie die Energiewende und die Entwicklung anderer Versorgungsmodelle. Töpfer hält das neoliberale Argument der Alternativlosigkeit für undemokratisch. Er plädiert für eine ökologisch regulierte Marktwirtschaft, die umweltfreundlichen Innovationen aufgeschlossen gegenübersteht. Dazu gehört für ihn die Überwindung der Wegwerfgesellschaft, der Ausbau einer dezentralen Energieversorgung über die Stadtwerke und die Übertragung der wahren Kosten der Atomkraft auf die Verursacher. 
Viele der im Buch unterbreiteten Vorschläge findet man fast gleichlautend im Erfurter Programm der Linkspartei. Doch nicht nur das: CDU-Mitglied Töpfer stimmt im Nachhinein sogar der Stamokap-These zu, dass es eingebauten Verschleiß in Industrieprodukten gebe. Kritisiert wird zudem das Bruttosozialprodukt als Wachstumsindikator. Yogeshwar schlägt als Ersatz einen Glücksindex vor. Lobbyismus, das Auseinanderklaffen der sozialen Schere sowie die ständige Erzeugung künstlicher Bedürfnisse stehen in der Kritik. Das bedingungslose Grundeinkommen, der »arabische Frühling« und das Phänomen der Piratenpartei werden als progressiv wahrgenommen und diskutiert. 
Töpfer und Yogeshwar glauben dabei an die Potenziale des technischen Fortschritts. Diese würden aber nur greifen, wenn es zugleich einen Wertewandel durch eine »kulturelle Revolution« gebe. Die Menschen sollten zur Energiewende nicht gezwungen, sondern ermutigt werden, z.B. durch staatliche Anreize. Andererseits erkennt Töpfer aber auch, dass die gegenwärtigen Staatsschulden eine ökologische Steuerungspolitik nahezu unmöglich machen. Deshalb müssten die Finanzmärkte dringend reguliert und reformiert werden: »Man kann nicht ein aggressives Finanzsystem mit einer allein nachhaltigen Energiepolitik verheiraten«, so Yogeshwar. 
Allerdings bringt Töpfer an einer Stelle geschichtlich einiges durcheinander: Er meint, dass das Landesumweltministerium Bayerns »mit Abstand das erste Umweltministerium überhaupt« gewesen sei, und dass es als Reaktion auf die Umweltkonferenz von Stockholm 1972 gegründet wurde. Dieses Ministerium existiert jedoch bereits seit 1970 und zudem entstand 1971 das Umweltministerium der DDR. Trotz solcher kleinen Mängel ist das Buch empfehlenswert. Fertige Antworten kann und will es nicht liefern. Als Anreiz zum Nachdenken dient es aber allemal. 
Vielleicht ja auch für Angela Merkel? Ihr sei Yogeshwars Plädoyer an Herz gelegt: »Wenn ich zum Jahresende die Reden der Bundeskanzlerin oder des Bundespräsidenten höre, kommt immer wieder das magische Wort ›Wirtschaftswachstum‹ vor. Doch wo ist die Rede von den anderen Werten, von Lebensqualität statt Lebensstandard? Eine solche Verschiebung unserer gesellschaftlichen Werte wäre für den Einzelnen viel befriedigender – wohlverstanden auf der Basis einer materiell gesicherten Grundversorgung.«