Bloch und Lukács: Die Russische Revolution als philosophisches Schlüsselereignis

Bericht über eine Tagung in Kooperation von Internationale-Georg-Lukács-Gesellschaft, Ernst-Bloch-Gesellschaft, Bloch-Assoziation und Helle Panke e.V., Berlin, 11. März 2017

erschienen in: Z. Zeitschrift marxistische Erneuerung, Heft 110, Juni 2017

Wenn am Ende einer Tagung der Bogen zu deren Einleitung geschlagen, das Gesagte auf seinen Aktualitätswert geprüft wird und es zum Abschluss hoch her geht, dann ist das ein gutes Zeichen. Organisiert hatten die Konferenz vier ei- genständige Vereine, die Internationale-Georg-Lukács-Gesellschaft, die Ernst-Bloch-Gesellschaft, die Bloch-Assoziation und die gastgebende Helle Panke aus Berlin. In acht Stunden kamen 10 ReferentInnen zu Wort, die inhaltliche Spanne war groß, die Teilnehmerzahl an der Kapazitätsgrenze. Wer da war, konnte erfahren, wie die damaligen Jugendfreunde Ernst Bloch und Georg Lukács die Oktoberrevolution aus dem westlichen Ausland wahrnahmen, und wie sie das welthistorische Ereignis verarbeiteten. Das persönliche Verhältnis zwischen beiden marxistischen Denkern, ihre unterschiedlichen Auffassungen von Praxisphilosophie bis hin zum Einfluss der zwei auf die westliche Neue Linke und 1968 waren Themen der Tagung.

Eröffnet wurde sie mit einem Referat des stellvertretenden Vorsitzenden der Hellen Panke, Stefan Bollinger. Er führte mit Lenin sogleich den Anführer der Bolschewiki, der für beide Philosophen zeitlebens ein positiver Bezugspunkt blieb, in die Veranstaltung ein. Bollinger ging kritisch auf Demokratiedefizite in Lukács‘ Werk ein. Um diesem gerecht zu werden, müsse man aber zugleich die demokratisch-sozialistischen Elemente bei ihm betonen. Bollinger nutzte Lukács‘ „Geschichte und Klassenbewusstsein“ (1923), um nach dem heutigen Ort des „Proletariats“ und dem schwierigen Verhältnis der – aktuell noch immer auf Identitätspolitik ausgerichteten – Linken zur Arbeiterklasse zu fragen.

Über Blochs Verhältnis zu Lukács sprach im Anschluss Rüdiger Dannemann (Essen). Die beiden kannten sich seit Anfang des Jahrhunderts aus der gemein- samen Heidelberger Studienzeit. Sie gewannen damals zunächst eine „prä-marxistische Denkperspektive“, von der jeder auf seine Weise später profitieren sollte. Obwohl beide damals gleichermaßen produktive Denker waren, habe Lukács Bloch die Ermutigung zu einem eigenen philosophischen Ansatz zu verdanken. Dafür war Lukács wiederum früher als Bloch Anhänger der Bolschewiki. In den 20er Jahren entzweiten sich die beiden dann im Streit über den Expressionismus, den Lukács, im Gegensatz zu Bloch, als „bürgerlich“ ablehnte.

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Über den Ungeist der heutigen Zeit sprach abschließend Micha Brumlik (Berlin). Sein Versuch, das Gesagte in die Jetztzeit zu holen, war provokant zugespitzt und führte zu einer lebhaften Abschlussdiskussion. Brumlik knüpfte an aktuelle Debatten unter Linken über das Proletariat an. Darin, dass viele Arbeiter und Arbeitslose Trump wählten und auch in Europa zum Lager der Rechtspopulisten überlaufen, sah er den Beleg für das Ende der im „Kommunistischen Manifest“ eröffneten „Utopie vom Proletariat“. Lukács sei in „Geschichte und Klassenbewusstsein“ zwar davon ausgegangen, dass die Krise ohne wachsendes Klassenbewusstsein des Proletariats nicht zu bewältigen sein wird, er habe aber dieses revolutionäre Bewusstsein ohne Rücksicht auf die empirische Situation rein philosophisch- kategorial abgeleitet und dem Proletariat „zugerechnet“. An ein revolutionäres Klassenbewusstsein sei jedenfalls „heute überhaupt nicht mehr zu denken“, so Brumlik. Die Globalisierung habe nicht zur Weltrevolution, sondern offenbar zu einer reaktionären Regression der Arbeiterklasse geführt. Die Befriedung der Klassengegensätze durch den Sozialstaat habe den Rest erledigt. Er kam zu einer pessimistischen Einschätzung, hielt aber noch Blochs „Prinzips Hoffnung“ am Leben, falls – aber nur falls – das „Freiheitsverlangen die Basis für die freiheitliche Tat“ ist. Brumlik bezweifelte jedoch, dass die Arbeiterklasse solch ein Verlangen in ausreichendem Maße habe. Deshalb forderte er von der Linken, „mehr Soziologie zu betreiben“, politische Aufklärungsarbeit zu leisten und das Proletariat, das zumindest in den klassischen Industrienationen im Schwinden begriffen sei, nicht länger zu idealisieren, wie es Bloch und Lukács noch getan hätten.
Auf diese zugespitzten Thesen folgte eine Diskussion darüber, was das Proletariat denn eigentlich (gewesen) sei und was es, bei aller Kritik, in über 160 Jahren erreicht habe. Ein Einwand war, ob der Befund seines Schwindens nicht vielmehr selbst dem idealisierten engen Begriff des traditionellen Marxismus folge, der Proletariat mit dem Industrieproletariat gleichsetze. Aktuell gebe es schließlich nicht nur im Weltmaßstab, sondern auch in den klassischen Industrienationen eine Zunahme der „Ware Arbeitskraft“ sowie eine Verschärfung ihrer Ausbeutung und Arbeitsbedingungen.

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