Rezension zu Hans­-Christoph Rauh: „Personenverzeich­nis zur DD­R-Philosophie 1945-­1995“

Hans­-Christoph Rauh: Personenverzeich­nis zur DDR­-Philosophie 1945­-1995. De Gruyter, Berlin 2021, 665 Seiten.

Erschienen in: Mitteilungen des Förderkreises Archive und Bibliotheken zur Geschichte der Arbeiterbewegung, Heft 62, September 2022, S.69f.

Wohl kaum jemand hat sich in den vergangenen drei Jahrzehnten intensiver mit der Philosophie in der DDR beschäftigt als Hans-Christoph Rauh. Geboren 1939, ist er selbst Teil dieser Geschichte und hat als Zeitzeuge und Philosophiehistoriker wichtige Schriften dazu verfasst und (mit-)herausgegeben. Nach „Anfänge“ (2001), „Denkversuche“ (2005), „Ausgänge“ (2007) und der 2017 erschienenen Institutionen- geschichte legt Rauh nun seinen 5. und letzten Band zum Thema vor, ein 665 Sei- ten dickes Personenverzeichnis. Die Betonung liegt hier auf „Verzeichnis“, denn es handelt sich explizit nicht um ein Lexikon und erhebt folglich auch keinen enzyklopädischen Anspruch.
Den Philosophiebegriff sieht Rauh ebenfalls differenziert. So müsse man zwischen einem eng gefassten, der sich vor allem auf die inhaltliche Substanz beziehe, und einem weit gefassten, der die ideologische Funktion umfasse, unterscheiden. Die Philosophie in der DDR sei „nie wirklich philosophisch eigenständig, fachlich besonders originell oder individuell vielgestaltig“ gewesen, so Rauh. Vielmehr sieht er sie als „ideologisch sektiererisch und klassenkämpferisch-politisch“. Es sei kaum um eine „unvoreingenommene Wahrheitssuche“ gegangen, weshalb Inhalt und Per- sonal nach 1990 kaum Chancen auf einen beruflichen Fortbestand gehabt hätten.
Rauh musste mehrere Eingrenzungen machen, was Ansätze für Kritik bietet. Zeitlich rechnet er einen Vorlauf mit ein, der etwa 1933 beginnt. Denn nach dem Krieg musste zunächst auf bestehendes, politisch unbelastetes, bürgerliches Lehrpersonal zurückgegriffen werden, bis die SED eigene Kader ausgebildet hatte. Rauh rechnet auch einen Nachlauf mit ein, den er ca. 1995 abschließt, wenngleich auch spätere Forscher zur DDR-Philosophie teils Eingang gefunden haben. Rauh hält seine Auswahl für repräsentativ. Er geht sogar so weit zu sagen, dass viele der Biografien „oftmals allein schon für sich genommen die DDR- Philosophie im Kleinformat auf den Punkt bringen und grundsätzlich charakterisieren“, was die Karriere, die Denkweise und eventuelle politische Konflikte, aber auch das Ende der Berufslaufbahn nach 1990 betrifft.
Die aufgeführten und alphabetisch sortierten Personen hat er mit ihren biologischen und beruflichen Lebensdaten versehen. Eine bemerkenswerte Fleißarbeit ist die Buchbesprechungen und Literaturhinweise Zusammenstellung der Themen ihrer Dissertationen A und B, die meist unpubliziert und damit undiskutiert geblieben sind.
Hinsichtlich der aufgenommenen Personen hat er den Schwerpunkt auf die Universitäten und Akademien gelegt, da es nicht möglich gewesen sei, sämtliche ML-Sektionen an Fachschulen, Parteischulen usw. mit aufzunehmen. Die Notwendigkeit sieht er auch inhaltlich beim Großteil der Personen nicht gegeben, da ihre Tätigkeit häufig darin bestanden habe, „die parteilich eingeforderte und auch so realisierte, unerschütterliche Bezugnahme, Interpretation und Bestätigung der einen und allein absolut wahren marxistisch-leninistischen Philosophie“ zu praktizieren.
Die Zusammenstellung der Personen war nicht frei von Schwierigkeiten. Ab den Siebzigerjahren gab es keine Vorlesungsverzeichnisse mehr. In den Dissertationen fanden sich keine Namen der Gutachter, und in den Wendejahren wurden Personallisten vernichtet. Rauh konnte anhand der Kassierungslisten der SED-Parteibeiträge jedoch viele Namen zusammentragen. Das philosophische Personal war über die ML-Sektionen der Institute organisiert und durchweg in der SED. Rauh hat sich für seine Arbeiten durch die ostdeutschen Universitätsarchive gearbeitet. Weitere Namen ergaben sich aus Publikationen, Sammelbänden oder Beiträgen in der Deutschen Zeitschrift für Philosophie. Der Autor hat auch Personen aufgenommen, die für die Philosophie der DDR eine Rolle spielten, obgleich sie keine Tätigkeit an DDR-Instituten ausübten, also z. B. Schriftsteller, Politiker oder Philosophen aus dem Ausland. Solang es sich um DDR-Philosophen handelt, funktioniert die methodische Begründung der Auswahl noch, beim erweiterten Personenkreis hingegen wirkt sie stellenweise sehr subjektiv-selektiv. Manche westliche Marxisten, die den Weg in das Buch gefunden haben, lebten zumindest eine Weile in der DDR und hatten hier auch universitär etwas mit Philosophie zu tun (Wolfgang Abendroth, Rudi Dutschke), bei anderen (Jürgen Habermas) oder gar ausländischen westlichen Marxisten wie Louis Althusser, Isaac Deutscher oder Roger Garaudy gibt es keine oder nur marginale Bezüge zur DDR. Hier franst das Buch etwas aus, wenngleich diese Namen für kritisch denkende DDR-Intellektuelle sicherlich interessant und teils inspirierend gewesen sein mögen. Auch namhafte Philosophen aus dem sozialistischen Ausland haben Eingang gefunden, wenn ihre Texte in der DDR übersetzt gedruckt bzw. gelesen wurden.
Man kann es so formulieren: Die Zusammenstellung der DDR-Namen ist eine wichtige Fleißarbeit, manch (ab-)wertendes Urteil über einzelne Personen verlässt den Rahmen des Enzyklopädischen (es offenbart den Zeitzeugen) und die Erweiterung um ausgewählte Intellektuelle macht Rauhs umfangreiches Werk zu einem lexikalischen Lesebuch für Laien, Interessierte und dabei Gewesene. Der Bogen, den der Autor mit seiner Auswahl spannt, zeigt die verschiedenen Zugänge zum Thema auf und die Schwierigkeit, dieses seitens der Forschung abzuschließen.