Rezension von: K. Olectiv: „Die letzten Tage von“ und „Werner Scholem. Eine politische Biografie“

K. Olectiv: Die letzten Tage von …: Recherchen zum kollektiven Fortsetzungsroman in der „Roten Fahne“ von Emanuel Bruck und Jürgen Kuczynski. Hrsg. Von Gaston Isoz und Thomas Möbius. Edition disadorno, Berlin 2015, 208 S., ISBN 978-3-94195-905-7
Ralf Hoffrogge: Werner Scholem. Eine politische Biografie (1895–1940), UVK Verlagsgesellschaft, Konstanz und München 2014, 495 S., ISBN 978-3-86764-505-8

erschienen in: Mitteilungen des Förderkreises Archive und Bibliotheken zur Geschichte der Arbeiterbewegung, Heft 52 (September 2017), S. 69 f.

Vor nicht langer Zeit erschienen zwei Bücher mit Bezug zur KPD-Zeitung „Rote Fahne“: Ralf Hoffrogges Dissertation über Werner Scholem und der von Gaston Isoz und Thomas Möbius edierte und herausgegebene Kollektivroman „Die letzten Tage von …“. Erschienen ist er als Fortsetzungsroman in der „Roten Fahne“ zwischen 16. Oktober und 4. Dezember 1931. Hinter dem anonymen Autoren-„k.olectiv“ verbargen sich die Redakteure Jürgen Kuczynski und Emanuel Bruck. Die Idee war, einen tagesaktuellen Fortsetzungsroman zu verfassen. Die handelnden Akteure waren dabei in Geschehnisse involviert, die als Nachrichten in den aktuellen Ausgaben standen, wie z.B. Weltwirtschaftskrise, Arbeitskämpfe oder Überfälle von Nazischlägern auf Kommunisten. Auch die SPD bekam auf Basis der Sozialfaschismusthese ihr Fett weg. Einen Einblick in die Redaktionsarbeit – oder besser, wie sie nach außen positiv vermittelt werden sollte – lieferten die Autoren dabei mit dem literarischen Kniff, die beiden Protagonisten im Laufe des Romans selbst in die Redaktion einzuladen. Hier wird die Arbeit der Redakteure und Drucker dargestellt. Verschwiegen wird jedoch, welch strenges Regiment unter dem Chefredakteur und Parteivorsitzenden Ernst Thälmann herrschte. Er war es auch, der schließlich den Abbruch des Romanexperiments anordnete. Isoz und Möbius ist zu danken, dass sie dieses vergessene Experiment erschlossen und in mehr als ansprechender Form veröffentlicht haben. Den 31 Kapiteln des Romans sind eine archivgestützte Einleitung zu den historischen und personellen Hintergründen sowie Faksimiles von Zeitungsseiten und -ausschnitten vorangestellt. Am Ende des Buches findet sich ein aktuelles und sehr lesenswertes Interview mit Thomas Kuczynski. Darin geht es um Wirtschaftskrisen, die Überlebensfähigkeit des Kapitalismus und die Notwendigkeit von Kämpfen gestern und heute. Jürgen Kuczynski überlebte die Nazizeit, Emanuel Bruck leider nicht. 1901 geboren, trat er 1922 der KPD bei, wurde journalistisch tätig und kam ca. 1927 zum Feuilleton der „Roten Fahne“. Zu dieser Zeit arbeitete er auch für die KPD-Reichstagsfraktion. 1934 verhaftet, durchlitt Bruck mehrere Zuchthäuser und wurde schließlich am 29. August 1942 im KZ Dachau ermordet. Sein Schicksal ähnelt an dieser Stelle jenem Werner Scholems. Dieser wurde am 17. Juli 1940 im KZ Buchenwald erschossen. Die Details der Ermordung zeichnet Hoffrogge in seiner Biografie nach, ebenso wie den Weg dorthin. Der 1895, sechs Jahre vor Bruck, geborene Kommunist war schon früh journalistisch und politisch aktiv. Bereits 1921 kam er als Redakteur zur „Roten Fahne“. Hoffrogge rekapituliert die inneren und äußeren Widerstände, denen Partei und Zeitung ausgesetzt waren. Er beschreibt, wie die Justiz gegen die KPD und Scholem vorging. Dessen Zeit bei der „Roten Fahne“ währte nicht lange. Scholem konzentrierte sich in der Folge auf seine politische Tätigkeit als Abgeordneter und Parteifunktionär. Hier verstrickte er sich in die parteiinternen Machtkämpfe der KPD, rückte die Partei mit nach Linksaußen und wurde wenig später Opfer eines Entdemokratisierungsprozesses, den er selbst mit eingeleitet hatte. Hoffrogge zeichnet Scholems Leben minutiös und auf Basis umfassender Archivrecherchen nach. Zentral dargestellt werden die Entwicklung der KPD in den zwanziger Jahren, der grassierende Antisemitismus, der Scholem als (eigentlich atheistischem) Juden seitens der Rechten im Parlament entgegenschlug sowie die Fragilität der Weimarer Republik. 
Darüber, wie diese Fragilität nicht zu einem kommunistischen „Sowjetdeutschland“, sondern zur faschistischen Barbarei führen sollte, informieren sowohl der Kollektivroman als auch Hoffrogges Buch.