Rezension von: Groschopp/Müller: Letzter Versuch einer Offensive

Horst Groschopp / Eckhard Müller: Letzter Versuch einer Offensive. Der Verband der Freidenker der DDR (1988 – 1990). Ein dokumentarisches Lesebuch, Alibri Verlag, Aschaffenburg 2014

Zuerst erschienen in: Mitteilungen des Förderkreises Archive und Bibliotheken zur Geschichte der Arbeiterbewegung, Nr. 46, Berlin 2014

Ein Freidenkerverband in der DDR? Kaum jemand erinnert sich, dass es einen solchen gab. Selbst innerhalb der heutigen Freidenkerszene wird er ignoriert bzw. höchstens als Fußnote der Geschichte betrachtet. Das liegt an mehreren Gründen: Erstens existierte der Verband der Freidenker der DDR (VdF) nur wenige Monate, da der Staat kurz nach dessen Gründung bereits Geschichte war. Daraus resultiert, dass der VdF zweitens kaum Wirkung entfalten konnte. Für eine Etablierung, für das Erreichen eines größeren Bekanntheitsgrades und somit für eine Verankerung in der Gesellschaft fehlte schlicht die Zeit. Es liegt drittens aber auch daran, dass die SED-Führung in den Jahren vor der Gründung viel dafür tat, das Freidenkertum in der DDR nicht zur Entfaltung kommen zu lassen – und dass, obwohl selbst Walter Ulbricht als junger Mann durch diese Schule gegangen war. Sowohl die SED-Genossen als auch die Normalbevölkerung konnten mit dem Begriff „Freidenker“ wenig oder nichts anfangen.
Grund dafür war die auf Mäßigung und Burgfrieden orientierte Kirchenpolitik der SED, wie Horst Groschopp und Eckhard Müller in ihrem Buch „Letzter Versuch einer Offensive“ nachweisen. Sie gehen davon aus, dass die Gründung des VdF von „ganz oben“ erfolgte, als Reaktion der SED-Führung auf die Öffnung von Teilen der DDR-Kirche für Kritiker und Gegner des Systems. Damit hatte die Partei- und Staatsführung 1988 einen vier Jahrzehnte geltenden Bann gegen das Freidenkertum gebrochen. Die Autoren zeigen auf, dass die Verbandsgründung dabei wenig durchdacht und nur mangelhaft vorbereitet war. Vieles mutete wie ein Schnellschuss an. So gab es beispielsweise keine Klarheit über Ziel und Zweck, Aufgaben und Beschaffenheit des VdF. Es sollte eine Massenorganisation werden, die am Ende jedoch mehr den politischen Zielen der SED-Führung als den Ideen des Freidenkertums verpflichtet sein sollte. Selbst die Organisation der Jugendweihefeiern – eine ursprüngliche Tradition der Freidenker – sollte diesem nicht als Aufgabe übertragen werden, sondern bei den staatlichen Jugendweiheausschüssen bleiben.
Bisher gibt es kaum Forschungen bzw. Publikationen zur Geschichte des VdF. Das Buch kann folglich als Schritt in wissenschaftliches Neuland betrachtet werden. Groschopp und Müller gestehen selbst ein, dass diese erste größere Arbeit zum Thema nur ein Anfang ist. Etwa 200 Seiten füllen Dokumente vom und über den VdF. Daneben gibt es einführende und erläuternde Beiträge der Autoren.
Als problematisch erweist sich im Hinblick auf die Erforschung des DDR-Freidenkerverbandes, dass dessen Archiv verschollen ist. Somit muss auf Quellen aus anderen Archiven zugegriffen werden. Mit der vorliegenden Arbeit konnte das (noch) nicht abgedeckt werden. Sie beinhaltet Quellen aus den Beständen der SAPMO-Bundesarchivs, Zeitungsartikel und Material aus Privatarchiven. Müller weist darauf hin, dass es eine noch anstehende Mammutaufgabe sein wird, weitere Bestände zu erschließen. So konnten für den vorliegenden Band z.B. die Akten des BStU, von Kirchenarchiven sowie die Ausgaben des damaligen „Freidenker-Journals“ noch nicht gesichtet werden. Zudem stehen Zeitzeugeninterviews aus. Der VdF ist somit noch längst nicht ausgeforscht – im Gegenteil: Steht der Verband doch exemplarisch für die hilflose Politik der SED gegenüber den sich für Systemkritikern öffnenden Kirchen.