Ein neues Standardwerk erklärt, woher die Umweltbewegung kommt und wohin sie geht
Rezension zu: Joachim Radkau: Die Ära der Ökologie. Eine Weltgeschichte. Verlag C.H.Beck, München 2011. 784 Seiten, 29,95 Euro.
Zuerst erschienen in: neues deutschland vom 27.04.2011
Als Joachim Radkau den Schlusssatz seines Buches »Die Ära der Ökologie« verfasste, ahnte er wohl kaum dessen prophetischen Charakter im Hinblick auf die Atomenergie. Er schrieb dort – kurz vor der Katastrophe in Fukushima – über den historischen Augenblick, den man ergreifen müsse: »Wer weiß, vielleicht erleben wir einen solchen Augenblick schon bald.«
Der Bielefelder Historiker beschäftigt sich zuvor umfangreich mit dem Thema Ökologie: »Die Geschichte der Öko-Ära liefert Stoff für Erfolgsgeschichten wie für Tragödien, aber auch nicht wenig Stoff für Komödien.« Beginnend beim 18. Jahrhundert, begibt sich Radkau episodenhaft auf die Reise durch die Geschichte. Dabei muss der Autor auf Grund der Materialfülle vieles weglassen. Dies hat zur Folge, dass wohl fast jeder Leser etwas vermissen wird. Beispielsweise bezeichnet Radkau im ansonsten gelungenen DDR-Abschnitt Robert Havemann fälschlicherweise als »prominentesten ostdeutschen Vordenker eines asketischen Ökologismus«, nennt hingegen Wolfgang Harich, auf den diese Bezeichnung viel besser zutreffen würde, nicht ein einziges Mal. Davon abgesehen ist die Menge der internationalen und nationalen Akteure, die aufgeführt werden, beeindruckend. Radkau setzt sich ausführlich mit dem Wirken von Rachel Carson, Rudolf Bahro, Dian Fossey, Vandana Shiva und vielen anderen auseinander. Er beschreibt die Entstehung und Entwicklung vieler Umweltschutzorganisationen und geht auf ihre Wechselwirkungen ein.
Als Anfangsjahr der eigentlichen »Öko-Ära« macht er 1970 aus. Die Bewegung sei damals aber nicht aus dem Nichts entstanden, sondern mehrere Gründe führten zu einer Verschmelzung historischer Entwicklungslinien. Da wir uns noch mitten in diesem dialektischen Geschichtsprozess befinden, bleibt der Ausgang der Geschichte offen. Trotzdem schafft es der Autor, einen kurzweiligen, teils selbstironischen, dabei aber nie herablassenden oder glorifizierenden Rückblick zu geben. Aufgrund der Unterschiedlichkeit der Akteure – man denke nur an den Widerspruch zwischen Klimaaktivisten und Landschaftsschützern im Hinblick auf Windräder – tut sich der Autor schwer damit, von der einen Umweltbewegung zu sprechen. Deshalb fasst er unter diesem Begriff eine Vielzahl von Bewegungen zusammen, die einen Bezug zur Ökologie haben.
Lesenswert ist übrigens auch Radkaus Erklärung dafür, warum die deutschen Grünen keine soziale Partei sind. Er führt den Lesern vor Augen, dass Hartz IV kein Ausrutscher, sondern die Konsequenz aus der Geschichte und Struktur dieser Partei war.
Der Historiker zieht aus der Vergangenheit auch Schlüsse für die Zukunft der Umweltbewegung. Er betrachtet strategische Ansätze vom bewaffnetem Kampf bis zur Kommunalpolitik und kommt zu dem Schluss, dass Fundamentalopposition und Militanz in die Sackgasse führen, weil man durch Gewalt die bereits existierende breite gesellschaftliche Unterstützung für ökologische Belange aufs Spiel setze. Radkau attestiert dem ökologischen Denken das Potenzial, in fast allen Gesellschaften, unabhängig von kulturellen und sozialen Unterschieden, hegemonial zu werden. Allerdings dürften ökologische Schritte nicht dogmatisch und verbissen gegen die Interessen der Menschen durchgesetzt werden, denn die Gefahr einer Ökodiktatur sei latent vorhanden.
Ein Kritikpunkt, der den Charakter des Buches als Nachschlagewerk trübt, muss aber erwähnt werden: Es gibt kein Sachregister. Hieran sollte man bei einer zweiten Auflage denken.