Ökologische Utopien in der DDR

Rezension von:
Andreas Heyer: Ökologie und Opposition. Die politischen Utopien von Wolfgang Harich und Robert Havemann, Helle Panke e.V. (Hg.): Philosophische Gepräche Nr. 14, Berlin 2009, 48 Seiten, 3 Euro 
zuerst veröffentlicht in: tarantel, Heft 45 (Juni 2009)

Zu Beginn der siebziger Jahre wurde die Umweltproblematik durch die Berichte an den „Club of Rome“ und ähnlich gelagerte Bücher (wie etwa Gordon Rattray Taylors „Doomsdaybook“ oder Herbert Gruhls „Ein Planet wird geplündert“) einer breiten Öffentlichkeit bewusst. Diese Schriften entstammten bürgerlichen, teils sogar konservativen Kreisen. Plötzlich waren Ressourcenknappheit, die Bevölkerungsexplosion, Umweltverschmutzung und Technikskeptizismus Schlagworte des öffentlichen Diskurses. 
Zeitgleich erlebte in den USA das Genre der politischen Utopie seine Wiedergeburt. Dazu muss man wissen – und der Politikwissenschaftler Andreas Heyer stellt das in seiner Broschüre „Ökologie und Opposition“ verständlich dar –, dass sich dieses Genre in zwei grundlegende Entwicklungslinien unterteilt: Zum einen gibt es den archistischen Utopietyp, der auf die „Utopia“ von Morus zurückgeht und einen starken bis allmächtigen (Verteilungs-)Staat konzipiert. Zum anderen existiert die jüngere Linie der anarchistischen Utopien, die erstmals im Frankreich der frühen Aufklärungszeit entstanden.
Die archistische Linie wurde im 20. Jahrhundert durch die real existierenden Diktaturen diskreditiert und mittels der schwarzen Utopien (wie Orwells „1984“ oder Huxleys „Schöne neue Welt“) entmündigt. Damit schien auch das Ende der Utopie als Ganzes besiegelt. Doch der anarchistische Zweig blühte in den siebziger Jahren wieder auf, integrierte dabei die Selbstkritik des Genres durch die schwarzen Utopien und sorgte für für eine Renaissance der politischen Utopie. In der Forschung werden diese Schriften als postmaterielle, postmaterialistische oder auch neue Utopien bezeichnet. Ernest Callenbachs „Ökotopia“ und Ursula K. LeGuins „Planet der Habenichtse“ sind die wohl bekanntesten Texte dieses Genres. Es entstand in den USA und nahezu all diese Utopien kommen auch von dort, wie Heyer feststellt.
Darum ist es um so bemerkenswerter, dass ausgerechnet in der kleinen DDR ebenfalls Utopien dieser Art verfasst wurden. Weder in anderen Ländern des sog. „Ostblocks“, noch in den kapitalistischen Staates Westeuropas wurden zu dieser Zeit ähnliche Konzepte entworfen. Für die DDR sind dabei drei Schriften hervorzuheben: Wolfgang Harichs „Kommunismus ohne Wachstum?“ (1975), Rudolf Bahros „Die Alternative“ (1977) und Robert Havemanns „Morgen“ (1980). 
Andreas Heyer klammert in vorliegender Broschüre Bahros Schrift aus, da diese bereits in weiten Teilen utopiegeschichtlich erforscht sei. Die anderen beiden Texte vergleicht er miteinander. Während Havemann eine anarchistische Utopie schrieb, habe Harich als einer von ganz wenigen Autoren versucht, das Genre der archistischen Utopie wieder zum Leben zu erwecken, Das Resultat sei bemerkenswert. Heyer meint sogar: „Harichs Werk nimmt innerhalb der Utopieliteratur des 20. Jahrhunderts eine herausragende Stellung ein.“ Doch was ist daran so besonders?: Harich denkt den Verzichtsgedanken mit allen möglichen notwendigen Konsequenzen zu Ende. Der Kommunismus der SED gehe vom Wachstum aus. Der „Springquell allen Reichtums“, wie ihn Marx in seiner „Kritik des Gothaer Programms“ prognostizierte, könne der Kommunismus der Zukunft aber aufgrund der ökologischen Krise nicht mehr werden. Vielmehr sei ein Zurück zum asketischen Verteilungskommunismus Babeufs nötig. An dessen Spitze stehe eine Weltregierung, die nahezu unbeschränkte Befugnisse habe. Bürgerliche Menschenrechte werden zu Gunsten der Natur aufgehoben. Alles wird reglementiert: von den Geburten, über die Lebensmittel bis hin zum Wohnraum. Dieses Konzept Harichs wirft natürlich Widersprüche auf, denen Heyer nachgeht. Er verortet den Text in Harichs Biographie (man denke daran, dass er 1957 zu 10 Jahren Zuchthaus wegen seiner Ulbricht-feindlichen „Plattform“ verurteilt wurde) und würdigt Harich als frühen ökologischen Denken innerhalb des Marxismus.
Havemanns „Morgen“ sei hingegen eine klassische postmaterialistische Utopie anarchistischen Typs. Er verbindet den Anarcho-Kommunismus Kropotkins mit dem Ökodiskurs der Siebziger. Seine Utopie beschreibt einen anderen Ausweg aus dem ökologischen Desaster der Gegenwart. Nicht ein Mehr an Diktatur sei nötig, wie es Harich vorschwebt, sondern ein „Dritter Weg“ zwischen realem Sozialismus und Kapitalismus. Auch Havemanns Ansatz hat Stärken und Schwächen, die Heyer aufzeigt.
Summa summarum ist „Ökologie und Opposition“ eine lesenswerte und zu diesem Preis unschlagbare Einführung in das Thema. Der Autor stellt die beiden Texte verständlich dar, ordnet sie in die Utopiegeschichte ein und betont ihre Mängel und Vorzüge.