Linke und Demokraten gegen den Kapp-Putsch 1920

Bericht über eine Konferenz der „Hellen Panke“ e.V. – Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin vom 4. März 2020.
Zuerst publiziert in „Z. Zeitschrift marxistische Erneuerung“, Heft 122, Juni 2020

100 Jahre nach dem Kapp-Putsch und dessen erfolgreicher Niederschlagung durch linke und bürgerliche Kräfte vor 100 Jahren diskutierten über 30 historisch Interessierte in der Hellen Panke über die damaligen Ereignisse und ihre Lehren.
Stefan Bollinger (Berlin) ging in seinem Eröffnungsvortrag auf die historische Situation ein. Kurz nach der Novemberrevolution hatte das Kollaborieren der MSPD-geführten Bauer-Regierung nicht nur die destruktive Spaltung der Arbeiterbewegung forciert, sondern auch die rechten Freikorps erstarken lassen. Nun, Anfang 1920, wollte die Regierung auf Grund der Forderungen des Versailler Vertrages deren Größe und Macht reduzieren, was zur Gegenwehr der Reaktion führte. Am 13. März setzte sie zum Putsch an, um der verhassten Demokratie ein Ende zu bereiten. Die Reichsregierung floh (ohne abzudanken), die Putschisten zogen in Berlin ein. Noch am selben Tag rief die alte Regierung zum Generalstreik auf. Gewerkschaften und Arbeiterparteien setzten auf den Generalstreik. Vier Tage später waren die Putschisten am Ende, denn gegen 12 Millionen streikende Arbeiter konnten sie das Land nicht regieren. Die MSPD-geführte Regierung kam zurück, musste soziale Zugeständnisse machen und den Freikorps-Protegé Noske seines Amtes als Reichswehrminister entheben. Damit war der Kampf aber noch nicht beendet. Viele kämpfende Arbeiter wollten mehr als bloß die Rückkehr der alten Regierung, sie erstrebten noch immer eine Räterepublik. Die Regierung kämpfte erneut gegen ein vermeintlich bolschewistisches Rätedeutschland, mit der Reichswehr und den eben noch putschenden Freikorps. Die Strafe in Form der Wahlniederlage folgte für die MSPD auf dem Fuße.

Daran knüpfte Ronald Friedmann (Berlin) unmittelbar an, der sich mit der Politik der gespaltenen Arbeiterparteien befasste. Während also die MSPD-Regierung entgegen der eigenen Beschlusslage zum Generalstreik aufrief, strebte die USPD die Räterepublik an. Die zu der Zeit noch recht unbedeutenden Kommunisten hin- gegen waren zunächst gegen beide Gruppierungen – sowohl die Reaktionäre um Kapp und Lüttwitz, als auch die MSPD-Regierung, die ja für die Morde an Luxemburg und Liebknecht verantwortlich gemacht wurde. Dieser Kurs war intern umstritten, was die Tatsache aufzeigt, dass der Aufruf zur Zurückhaltung, den die Kommunisten zunächst veröffentlichten, bei der Arbeiterschaft verhallte und schon am nächsten Tag revidiert wurde. Der Generalstreik zeigte rasch Wirkung, die Putschregierung wurde isoliert. Sie gab auf, ihre Führer flohen ins Ausland. Wie Friedmann betonte, muss das Geschehen um den Kapp-Putsch nicht nur in Bezug auf Berlin und die Führung der Arbeiterparteien betrachtet werden. Insbesondere ist die Ungleichzeitigkeit und Unterschiedlichkeit der Ereignisse in der Provinz zu betrachten. Die dortigen Abwehrkämpfe bieten viele eigene Geschichten.

Daran anschließend schilderte Mario Hesselbarth (Jena) den Verlauf der Ereignisse am Beispiel Thüringens. Als Land wurde es erst am 1. Mai 1920 gegründet. Vorher (und auch danach noch) war Thüringen von Kleinstaaterei geprägt. Entsprechend verliefen die Kämpfe mancherorts sehr blutig, anderswo passierte kaum etwas. Am 15. März wurde auch für Thüringen der Generalstreik ausgerufen. Es kam zu gewaltsamen Abwehrkämpfen gegen die Reaktion. In Gotha gab es z.B. am 18./19. März über 100 Tote. In Weimar, wo auch Teile der Liberalen mit zum Generalstreik aufgerufen hatten, erkämpften sich Arbeiter Waffen für spontanen Widerstand. Nachdem die Reichsregierung für den Zeitraum vom 22. März bis zum 1. April wegen einer vermeintlichen kommunistischen Räteregierung über Thüringen einen verschärften Ausnahmezustand verhängt hatte, kam es zu brutalen Racheakten von Freikorps an Arbeitern und Zivilbevölkerung. Die Morde von Mechterstädt sind eines der bekannten Beispiele. Hier ermordete am 25. März das „Studentenkorps Marburg“ auf der Durchreise 15 Arbeiter.

Dass unter den Protagonisten auf beiden Seiten fast ausschließlich Männer führend aktiv waren, berichtete Mirjam Sachse (Kassel). Sie arbeitet im Archiv der deutschen Frauenbewegung und hat dort für ihren Vortrag in Zeitungen des Jahres 1920 recherchiert. Allerdings betonte sie, dass unter den vielen Namenlosen im Widerstand gegen den Putsch durchaus Arbeiterinnen mitkämpften, was sich durch Opferlisten belegen lässt. Gleiches gilt für ermordete Zivilistinnen. Sachse zeigte zudem auf, dass etliche Frauen als Journalistinnen über den Putsch berichteten.

Auch Holger Heith (Bochum) ging auf einen lokalen Konfliktverlauf ein: Er stellte das Agieren der Roten Ruhrarmee vor. Sie erkämpfte sich Waffen und schaffte es trotz eigener Schwächen die Freikorps aus dem Ruhrpott zu verjagen. Die Ruhrarmee bestand zu einem größeren Teil aus Metallarbeitern, fast die Hälfte ihrer Kämpfer waren in der USPD, ein Drittel bei der KPD. Sie waren jung, viele von ihnen noch Jugendliche. Die antikommunistische Presse konstruierte einen angeblichen roten Terror, die Nazis diffamierten sie später als Verbrecher und französische Agenten. In der frühen Bundesrepublik wurde die Rote Ruhrarmee nahezu verschwiegen und erst in den 1970er Jahren für die historische Forschung wiederentdeckt. Nachdem sich in den 1980er Jahren dann auch Historiker der Bielefelder Schule sich dafür interessierten, geriet die Ruhrarmee in den folgenden Jahren wieder schleichend in Vergessenheit.

Gerhard Weiß (Hamburg) meinte in seinem Beitrag, dass die Kombination aus Generalstreik und (Selbst-)Bewaffnung der Arbeiter den Sieg gebracht habe. Die beteiligten Parteien verfolgten unterschiedliche Ziele. Diese Uneinigkeit und die Enttäuschung über Ebert und Noske habe verhindert, dass nach dem Sieg über die Putschisten keine weitere Linkswende herbeigeführt werden konnte. Dass die Reaktion nicht verfolgt und bestraft wurde, sollte sich 13 Jahre später rächen. Somit war der Kampf gegen den Kapp-Putsch wohl beides: Sieg und vertane Chance zugleich.

Die Beiträge, ergänzt um einen Aufsatz von Marga Voigt (Berlin) über neu ent- deckte, Clara Zetkin zuzuschreibende Texte zum Putsch, werden bei der „Hellen Panke“ publiziert werden.