„Ich bitte nur darum: Macht von mir Gebrauch!“

Harichs Kontroversen mit DDR-Funktionären im Spiegel der MfS-Akten 1974-79

in: Heyer, Andreas (Hrsg.): Diskussionen aus der DDR.
Festschrift für Siegfried Prokop, Band 2, 2015

Leseprobe (Einleitung des Aufsatzes):

Seit Beginn der siebziger Jahre engagierte sich Wolfgang Harich für die Umweltfrage. Er hatte Zugang zu westlicher Ökoliteratur und verfolgte auch die Debatte darüber in der Sowjetunion. Dort wurde zumindest unter Wissenschaftlern über die Warnungen des Club of Rome ernsthaft diskutiert. Dessen düstere Prognosen galten der SED hingegen bloß als negative Folge des westlichen Imperialismus. Umweltschäden im eigenen Lande wurden ideologisch damit gerechtfertigt, dass beim Aufbau des Kommunismus gehobelt werden müsse und somit auch Späne fallen. Nach Erreichen des großen Zieles würde es dann keine Umweltprobleme mehr geben, bis dahin müsse man damit leben.

Mit dieser unbestimmten Vertröstung konnte und wollte sich Harich nicht abfinden. Er war nach dem Erscheinen des ersten Berichtes an den Club of Rome zum Ökoapokalyptiker geworden. Für einen langwierigen Transformationsprozess sah er in Anbetracht der sich rapide zuspitzenden Umweltprobleme keine Zeit. Der ökologischen Frage ordnete er 1975 in seinem Buch „Kommunismus ohne Wachstum?“ oberste Priorität zu. Fußend auf den wachstumskritischen Forderungen des Club of Rome forderte Harich darin einen asketischen Kommunismus mit der Struktur eines streng zentralistisch gegliederten Weltstaates: „Auf dem derzeit erreichten Stand der Entwicklung der Produktivkräfte halte ich den sofortigen Übergang zum Kommunismus für möglich, und in Anbetracht der ökologischen Krise scheint er mir dringend notwendig zu sein. Ich glaube jedoch nicht mehr, dass es jemals eine im Überfluss lebende, eine aus dem Vollen schöpfende kommunistische Gesellschaft geben wird, wie wir Marxisten sie bisher angestrebt haben. In diesem Punkt müssen wir uns korrigieren.“ Die SED setzte hingegen auf Wachstum, um die materiellen Bedürfnisse der Bevölkerung befriedigen und somit im Systemwettlauf mit der Bundesrepublik konkurrenzfähig bleiben zu können.

Harich hielt diese Strategie für falsch und umweltpolitisch für grob fahrlässig. Er hoffte, führende SED-Kader von der Wichtigkeit der ökologischen Frage zu überzeugen und somit auf legalem Wege Einfluss auf die Politik nehmen zu können. Diese offene Strategie wählte Harich bewusst, nachdem er 1956 für sein konspiratives Vorgehen gegen Ulbricht hart bestraft wurde. Daraus hatte er die Lehre gezogen, über legale und offizielle Dienstwege gesellschaftliche Veränderungen anzustreben. Das betraf auch (halb-)private Treffen mit Funktionären, in deren Rahmen sich Harich stets so offen zeigte, dass er seine Überlegungen mit diesen Kadern teilte und sie ihnen als Verbesserungsvorschläge zum Nutzen der SED anbot. Es kam dabei zu Diskussionen zwischen den Gesprächspartnern, die das Ministerium für Staatssicherheit archivierte. Die Gesprächspartner waren dabei entweder selbst Mitarbeiter des MfS oder sie fungierten in der Regierung auf hoher Funktionsebene. Beispielhaft hierfür ist der auch als „Bücherminister“ bekannte stellvertretende Minister für Kultur der DDR (1973–1989) und Leiter der Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel, Klaus Höpcke. In Bezug auf das Thema Ökologie war Höpcke Mitte und Ende der siebziger Jahre für Harich nicht der einzige, aber wohl der wichtigste Ansprechpartner. Er wollte, dass seine Überlegungen zum Thema Wachstum in der DDR publiziert und diskutiert werden. Höpcke konnte ihm diesen Wunsch nicht erfüllen und unterbreitete andere Angebote zur Mitarbeit. Harich suchte häufig seinen Kontakt und sprach vorauseilend auch andere Angelegenheiten mit dem stellvertretenden Minister ab, um sich gegen politische Fehltritte abzusichern.

Im Folgenden werden MfS-Berichte und -protokolle über Gespräche mit Harich ausgewertet. Die meisten davon wurden mit Höpcke geführt. Die Stasi sammelte zudem Briefe, Rezensionen seiner im Westen publizierten Bücher und Artikel bzw. Interviews, die Harich westlichen Zeitungen und Zeitschriften gab. Manche Themen und Kontroversen kommen dabei nur einmal zu Sprache, anderes taucht immer wieder auf. Um dies zu veranschaulichen, werden die Geschehnisse auf den folgenden Seiten chronologisch dargestellt.