Ernst Bloch in der DDR: Hoffnung – Utopie – Marxismus

Alexander Amberger: Ernst Bloch in der DDR. Hoffnung – Utopie – Marxismus, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie. Band 61, Heft 4 (Oktober 2013), Seiten 561–576

Ernst Bloch in der DDR: Hoffnung – Utopie – Marxismus

Einleitung

  1. Blochs Wirken in der DDR
  2. Marxismus vs. Utopie?!
  3. Marxistische Oppositionelle in Blochs Tradition
  4. Fazit

 

  1. Einleitung

Der Einfluss Ernst Blochs auf die Philosophie und die Literatur der DDR, auf die Opposition (gleich, ob kirchlich oder marxistisch) und auch auf SED-Intellektuelle ist nicht klein zu reden. Bloch wirkte. Und sein „Prinzip Hoffnung“ wurde zum Leitmotiv für verschiedene Kräfte: Hofften die Einen auf mehr bürgerliche Freiheiten und Menschenrechte, so hofften andere auf eine progressive sozialistische Entwicklung der DDR und vielleicht auch den Weltkommunismus. Seine Utopie beeinflusste Marxisten aller Couleur und fand ebenso bei Theologen positiven Nachhall, da Bloch ein ausgewiesener Kenner der religiösen, insbesondere der biblischen Materie war. Sein entgrenztes Utopieverständnis enthielt dabei für jeden etwas: Eschatologie und Chiliasmus waren ebenso präsent wie der Marxismus. Kritiker werfen Bloch deshalb vor, einen unwissenschaftlichen und völlig offenen Utopiebegriff entwickelt und verwendet zu haben. „Blochianer“ sehen hingegen im „Prinzip Hoffnung“ eine praxisphilosophische Methode, einen Ansatz, Theorie und Aktion mit dem Ziel in Verbindung zu bringen, konkrete Utopien zu verwirklichen.

Blochs Utopie wirkte in der DDR immanent in breite, völlig unterschiedliche Schichten der Intelligenz und Opposition. Es ist nahezu unmöglich, sämtliche Wirkungen Blochs zu erfassen – zu umfangreich und stark war sein Einfluss, zu viele Akteure nahmen größere oder kleinere Elemente seines Denkens auf. Doch wie konnte es dazu kommen?

Als Bloch Ende der vierziger Jahre aus seinem ungeliebten Exilland USA[2] in die Sowjetische Besatzungszone (SBZ) übersiedelte, war er zunächst kein Prominenter. Bloch war vor 1933 noch keine Koryphäe und während der NS-Diktatur wurde er nicht verlegt, wurden seine Schriften von den Nazis vernichtet.[3] Deshalb war es unter der Kollegenschaft an der Leipziger Universität auch nicht unumstritten, dem damals schon 64jährigen einen Lehrstuhl für Philosophie anzubieten, zumal Bloch auf Grund seiner fragmentierten Biografie nicht habilitiert war.[4] Um formell Professor werden zu können, wurde 1949 sein „Prinzip Hoffnung“ als Habilitationsschrift anerkannt.[5] Doch zurück zur Fragestellung: Wie war es möglich, dass Ernst Blochs Hoffnungsphilosophie zur wichtigsten Theorie systemkritischer (linker) Intellektueller werden konnte? Welche inneren und äußeren Faktoren spielten hier eine Rolle? Und inwieweit hat die Hoffnungsphilosophie noch am Ende der DDR gewirkt?

  1. Blochs Wirken in der DDR

92 Jahre wurde Bloch alt.[6] Davon verbrachte er 12 in der DDR, von 1949 bis 1961. Er kam als nahezu ungekannter und ging als Berühmtheit. Wie war dieser Aufstieg in relativ kurzer Zeit möglich?

Im Jahr 1948 erfolgte der Ruf nach Leipzig.[7] Silvia Markun schrieb diesbezüglich: „Für ihn war es selbstverständlich, sich dem Aufbau des Sozialismus zur Verfügung zu stellen.“[8] Und Sie zitiert aus Blochs Antrittsvorlesung, in der er sagte: „wer der Wahrheit nach will, muß in das mit Marx eröffnete Reich; es gibt sonst keine Wahrheit mehr, es gibt keine andere“[9]. Doch reiner Idealismus und pure Liebe zum Sozialismus dürften nicht die allein ausschlaggebenden Aspekte für die Übersiedelung in die SBZ gewesen sein. Da war zunächst die Zusage, „unbegrenzte Freiheit“ in Forschung und Lehre zu haben[10]. Wie Zudeick schreibt, habe Bloch aber zunächst dennoch gezögert, da er fürchtete, das Lehren würde sein Forschen ausbremsen. Die guten Publikationsmöglichkeiten in der SBZ hätten dann aber den Ausschlag für seine positive Entscheidung gegeben.[11]

In den Anfangsjahren lief es sehr gut für den Wissenschaftler und Menschen Ernst Bloch: Er hatte nicht nur einen Lehrstuhl, sondern war zugleich Direktor des Philosophischen Instituts der Universität Leipzig. Daneben wurden im Aufbau-Verlag mehrere Bücher Blochs publiziert, deren Manuskripte er aus dem US-Exil mitgebracht hatte. Dies waren: „Freiheit und Ordnung“ (1947), „Subjekt-Objekt“ (1951), „Das Prinzip Hoffnung“, Erster Band (1954), Zweiter Band (1955) und Dritter Band (1959). Bloch erhielt in seiner DDR-Zeit auch zahlreiche hohe Auszeichnungen, z.B. wurde er 1955 Ordentliches Mitglied in der Deutschen Akademie der Wissenschaften, er bekam zudem den Nationalpreis zweiter Klasse und den Vaterländischen Verdienstorden.[12] Zuletzt muss auch erwähnt werden, dass Bloch als Institutsdirektor zahlreiche Privilegien genoss, so z.B. ein hohes Gehalt, eine Villa mit Personal und ein Auto.[13]

Bis Mitte der fünfziger Jahre gab es nur geringe Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Philosophen und der Partei. Auch in Bezug auf den Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953 war von Bloch nichts Öffentliches zu vernehmen. Münster vermutet, dass er aus Vorsicht schwieg, um seine Publikationsmöglichkeiten in der DDR nicht zu gefährden.[14] Ehemalige Leipziger Schüler beschreiben ihn als Antistalinisten und spitzzüngigen Kritiker seiner realsozialistischen Gegenwart. Trotzdem habe er zur Sowjetunion gehalten, was Zudeick folgendermaßen interpretiert: „Wir werden wohl davon ausgehen müssen, daß die Zwiespältigkeit von Blochs Haltung in der US-Isolation sich noch verfestigt hat – nämlich grundsätzlich anti-orthodox und vom Charakter seines Denkens und Handelns her anti-stalinistisch, in Fragen der Politik aber eisern am sowjetischen Modell festhaltend. So ist zu erklären, daß Bloch all den Stumpfsinn parteiamtlicher Philosophie vom ersten Tag seiner Tätigkeit in Leipzig an bekämpft hat, dem Staat DDR aber über lange Zeit die Treue hielt.“[15] Bloch habe in der Zeit der dreißiger bis fünfziger Jahre kommunistische Führer recht kritiklos und teilweise gar kultisch verehrt, meint Verena Kirchner, – auch weil sein Hoffnungsdenken auf einem „Führungsprinzip“ und „Führerfiguren“ als Vorbildern basiert habe. Bloch sei in den fünfziger Jahren weder Oppositioneller, noch Dissident oder Systemkritiker gewesen. Dafür hätten ihn im Gegenzug die Herrschenden hofiert und „gefördert“.[16] Für Ingrid und Gerhard Zwerenz gestaltete sich das Verhältnis wie folgt: „Tatsächlich aber war mit Blochs Einzug in die DDR ein Deal verknüpft: politisches Wohlverhalten gegen relative Gedankenfreiheit mit Prominentenstatus. Als er 1956 diesen Handel politisch und öffentlich aufkündigte, wurde sein wichtigstes Privileg, der Zugang zum Lehrstuhl, gekappt. Jetzt war die Subversivität des Hauptwerks offiziell angreifbar geworden.“[17]
Zu dieser Zäsur später mehr, zunächst sollen Blochs philosophisches Wirken und die mit ihm verbundenen Debatten innerhalb der DDR-Philosophie nachgezeichnet werden.

Die Logikdebatte war eine der ersten. Aus ihr sollte die „Deutsche Zeitschrift für Philosophie“ (DZfPh) hervorgehen. Zwar hat sich Bloch in dieser Debatte mit eigenen Beiträgen zurückgehalten, als Mitherausgeber der Zeitschrift war er aber indirekt beteiligt.[18] Wolfgang Harich berichtet in seiner Autobiografie, dass Kurt Hager zur Fortsetzung der Logik-Debatte vorgeschlagen habe, eine philosophische Zeitschrift einzurichten. Dies sei der Ausschlag zur Gründung der DZfPh gewesen. Hager habe u. a. Walter Hollitscher als Mitherausgeber einsetzen wollen, aber Bloch und Harich seien dagegen gewesen, da sie Hollitscher als „Dilettant[en]“ betrachteten. Arthur Baumgarten und Karl Schröter waren die anderen. Sie wählten Harich zum Chefredakteur, da er laut eigener Aussage als einziger über ausreichende redaktionelle Berufserfahrung verfügte. Im Frühjahr 1953 erschien das erste Heft mit dem Schwerpunkt Logikdebatte. Harich berichtet, dass er für die Zusammenstellung verantwortlich gewesen sei.[19]

Eine der wichtigsten Debatten war in der Folgezeit diejenige um die Hegelinterpretation in der DDR. Mit „Subjekt-Objekt“ hatte Bloch hier 1951 vorgelegt und eine eigene Lesart eingebracht, die nicht identisch mit jener des dogmatisierten Marxismus-Leninismus war.[20] Zudeick meint, dass dies nicht naiv intendiert gewesen sei, sondern bewusst provokant. Bloch habe wenig vom simplen Geschichtsdeterminismus des Histomat und Diamat gehalten[21] und diesen mittels Hegel kritisiert. Laut Stefania Maffeis wurde die Hegel-Debatte zwischen „Orthodoxen“ (Vertretern von Stalins Meinung) und „Heterodoxen“ (Bloch, Harich, Lukács) geführt, die Hegel als Klassiker der deutschen Philosophie in die DDR-Philosophie übernehmen wollten.[22] Zudeick fasst Blochs Interpretation wie folgt zusammen: „Für ihn handelt es sich um einen Prozeß, in dem ein noch nicht fertig bestimmter Mensch aufgrund partiell erst noch zu erwerbender Fähigkeiten seine eigene Geschichte nicht nur machen, sondern bewußt machen und sich bewußtmachen soll. Das heißt aber nicht, daß Hegel ‚erledigt‘ sei. Denn nur indem man sich seiner Konzeption kritisch versichert, kann man nach Blochs Meinung die richtungweisende Rolle einer materialistischen Interpretation Hegels ermessen.“[23]
Die Hegeldebatte fand nicht unmittelbar nach dem Erscheinen von „Subjekt-Objekt“ statt, sondern wenige Jahre später in der „Deutschen Zeitschrift für Philosophie“. Gegen Hegel wandte sich der frühere Bloch-Schüler und nunmehrige Gegenspieler an der Leipziger Universität, R. O. Gropp, mit seinem Beitrag „Die marxistische dialektische Methode und ihr Gegensatz zur idealistischen Dialektik“, der 1954 in der DZfPh erschien. Gropp wandte sich darin gegen Forderungen Blochs und Lukács`, die vormarxistische, idealistische Philosophie als Erbe anzuerkennen.[24] In der Hegeldebatte hielten Harich und Bloch zusammen gegen Gropp und andere, die Hegel nicht als Vorläufer des Marxismus anerkennen wollten. Der gemeinsame Artikel hierzu erschien in der eingestampften Version der „Deutschen Zeitschrift für Philosophie“ Nr. 5/1956.[25]

Die DZfPh bot in ihren Anfangsjahren Raum für relativ offene Debatten, was auch an Bloch und Harich lag, die die Zeitschrift als gesamtdeutsches marxistisches Forum für Philosophie etablieren wollten. Konkret hieß das, dass auch Autoren zu Wort kommen durften, die nicht voll auf Parteilinie waren und dass z. B. auch westliche Bücher rezensiert wurden, die es in der DDR nicht zu kaufen gab. Im Jahr 1955 wurde diese liberale Linie einigen politischen Entscheidungsträgern zu viel, und sie setzten von oben eine Umstrukturierung der Redaktion und eine damit verbundene Kurskorrektur durch. Kritisiert wurde auch, dass Bloch als Herausgeber zu viele eigene Beiträge brachte.[26] Insbesondere Kurt Hager wünschte sich, dass die DZfPh primär philosophische Fragen im Kontext der SED und der DDR behandeln sollte.[27] Harich erinnert sich: „Ich bleibe zwar Chefredakteur, und auch Manfred Hertwig wird im Amt des Redaktionssekretärs belassen. Aber das vierköpfige Herausgeberkollegium Baumgarten-Bloch-Harich-Schröter soll nur noch dekorativen Charakter haben, und mir zur Seite wird ein linientreues Redaktionskollegium etabliert, mit Matthäus Klein, dem Leiter des Lehrstuhls für Philosophie am Gesellschaftswissenschaftlichen Institut des ZK der SED, als stellvertretendem Chefredakteur.“[28]

Ab 1955 verschlechtere sich auch das Verhältnis zwischen Bloch und der SED, deren Mitglied der Philosoph übrigens nie war. Zwar wurde Bloch in diesem Jahr mit hohen Preisen geehrt, die SED überreichte den ersten Band des „Prinzip Hoffnung“ 1955 als Geschenkprämie für neu eingetretene Mitglieder[29] und es gab zu Blochs 70. Geburtstag eine Festschrift, herausgegeben von R. O. Gropp, die Beiträge von u. a. Lukács, Walter Markov, Viktor Stern, Hans Mayer, Georg Klaus, Hans-Heinz-Holz und Hermann Ley enthielt. Bloch war ganz oben angekommen und damit spitzten sich in der Folge auch die Widersprüche zu. Als im Februar 1956 Chruschtschows Geheimrede auf dem XX. Parteitag der KPdSU die Verbrechen des Stalinismus benannte, und als über westliche Medien in der Folgezeit die Inhalte dieser Rede auch in der DDR Verbreitung fanden, war das Entsetzen unter überzeugten, aber nicht völlig unkritischen Kommunisten groß. Auch für Bloch, der 1937 noch die Moskauer Prozesse gerechtfertigt und 1953 zum 17. Juni geschwiegen hatte, änderte sich nun die Situation.[30] Er, der Walter Ulbricht ohnehin ablehnend gegenüberstand,[31] nutzte nun seine Prominenz, um ein Aufbegehren der kritischen Intellektuellen für mehr Freiheit und gegen Dogmatismus einzuleiten. Das Jahr 1956 geriet zur Machtprobe zwischen Ulbricht und seinen Kritikern/Gegnern aus der Intelligenz.

Bloch spielte dabei allerdings nicht die Hauptrolle, sondern hielt sich weitgehend in der zweiten Reihe und äußerte Kritik eher intern. Beispielsweise auf der sog. „Freiheitskonferenz“, die im Frühjahr 1956 stattfand, und bei Bloch in seinem Einleitungsreferat Verengungen des schematisierten Marxismus-Leninismus kritisierte. Damit eckte er erstmals überhaupt in der Öffentlichkeit politisch an. Er maß letzten Endes dem Subjekt im Geschichtsprozess eine größere Rolle zu als die SED-Dogmatiker.[32]

Die SED-Führung um Ulbricht hatte Schwierigkeiten, mit Chruschtschows Rede umzugehen. Sie wurde nicht publik gemacht, und es gab keine Debatte darüber. Vielmehr personalisierte man die Schuld auf Stalin und gab ein paar Systemmängel zu. Zudem wurde zum „Meinungsstreit“ aufgerufen, ohne dass eine wirkliche, schonungslose und ideologiekritische Diskussion erwünscht gewesen wäre. Genau diese Taktik kritisierte Bloch in einem Aufsatz vom Mai 1956: „Erst recht ist es marxistisch völlig heillos und falsch, ja fast eine versuchte Rücknahme des 20. Parteitags, ihn zu einer bloßen ‚Fehlerdiskussion‘ herabzusetzen mit sonst nichts dahinter.“[33] Und er forderte deshalb weitergehend: „Die Bewährung heißt im ganzen sozialistischen Lager innerparteiliche Demokratie mit endlich wieder forschender, belehrt-lehrender Theorie, und im Westen neue Volksfront dazu. […] Jeder Sozialismus ist nach dem Maß der demokratischen Freiheiten beschaffen, auf denen er sich aufbauen kann, die er in sich einbaut und vor allem fortführt. Wonach auch die bürgerlichen Freiheiten nicht nur aufgegriffen, geschweige nachgeholt, sondern vollzogen und derart genau ohne Kapitalisten, durch Aufhebung des Kapitalisten realisiert werden.“[34]

Inspiriert von den Reformforderungen Blochs und Lukács‘ begann ein Kreis von Personen um Wolfgang Harich und Walter Janka damit, einen (konspirativen Plan) zur Ablösung Ulbrichts zu entwerfen und auch erste konkrete Schritte zur Umsetzung zu unternehmen. Ende 1956 wurde dieses Vorgehen durch Verhaftungen unterbunden.[35] Der Generalstaatsanwalt der DDR, Ernst Melsheimer, hatte auch schon einen Haftbefehl gegen Bloch fertig, Ulbricht und Hager waren aber gegen eine Inhaftierung und setzten dagegen auf Isolation des missliebigen Philosophen. Nach Harichs Verhaftung begann eine Kampagne gegen Bloch mit einem Artikel Gropps im „Neuen Deutschland“ vom 19. Dezember. Ulbricht legte am 31. Dezember mit einem weiteren Artikel nach, und im Januar wurde Bloch von der Universität entlassen.[36] Bloch galt nun als „Revisionist“ – ihm wurde abgesprochen, den Marxismus-Leninismus zu vertreten.[37] Verena Kirchner meint: „Nicht der Kritiker Bloch bricht also mit dem Regime, das Regime maßregelt ihn.“[38]

Bloch antwortete im Januar 1957 öffentlich auf einen Offenen Brief der SED-Parteileitung seiner Hochschule.[39] Darin schilderte er seine Sicht der Vorgänge, distanzierte sich von den Verhafteten, lobte den Einmarsch in Ungarn 1956 und bekannte seine Loyalität zum System – wobei er die gegen ihn gerichteten Revisionismusvorwürfe zurückwies. Er bat regelrecht um Gnade, weshalb Zudeick den Brief „nicht eben ein Dokument der Souveränität“[40] nennt. Arno Münster ist der Meinung, dass Bloch diesen Brief nicht ehrlich gemeint habe, sondern dass taktisches Kalkül dahinter steckte. Bloch bot jedenfalls am Ende seine Emeritierung an, was von der SED umgehend angenommen wurde. Was folgte waren weitere kleine Repressalien und Nadelstiche, so z. B. Verbote zum Betreten der Universität und der Bibliothek.[41] Einige Privilegien durfte er allerdings behalten.[42]

Im Zuge der „Revisionismuskampagne“ wurde Bloch nicht nur von der Universität entfernt, sondern er war fortan auch nicht mehr Herausgeber der DZfPh. In der ersten Ausgabe nach dem Rauswurf Blochs und Harichs wurden diese in den eröffnenden Beiträgen angegriffen. Walter Ulbricht kritisierte z. B. die Unparteilichkeit Blochs (ohne diesen jedoch direkt anzuprangern). Hager wurde in seinem Artikel konkreter und bezeichnete Blochs Denken als unmarxistisch.[43] Er warf ihm und seinen Schülern vor, den Marxismus mittels des Antidogmatismus verändern zu wollen. Blochs Ideen seien subjektivistisch, wirklichkeitsfremd und ein schlechter Einfluss für seine Schüler: „E. Bloch vertritt nicht den dialektischen Materialismus. In seiner Philosophie sind zweifellos starke humanistische und progressive Tendenzen enthalten, obwohl es sich im Grunde um eine idealistische, vom wirklichen Leben und Kampf der Werktätigen losgelöste Philosophie handelt. Die Auseinandersetzung mit der Philosophie E. Blochs muß von unseren Wissenschaftlern geführt werden.“[44]

Und diese Forderung Hagers wurde wenig später erfüllt. Am 4./5. April fand in Leipzig eine Tagung statt. Das Protokoll wurde unter dem vielsagenden Titel „Ernst Blochs Revision des Marxismus“ herausgebracht. Auf der Konferenz sagten sich zahlreiche ehemalige Schüler von ihm los. Auch Gropp, der bei Bloch habilitiert hatte und 1955 noch als Herausgeber der Festschrift zum 70. Geburtstag fungierte, wandte sich gegen seinen Kollegen und bezeichnete Blochs Philosophie nun als „antimarxistische Welterlösungslehre“. Es ging im Großen und Ganzen um eine definitive Beendigung aller Debatten, die sich 1956 gegen den Dogmatismus richteten. Und es ging darum, die DDR-Philosophie auf Parteilinie zu bringen. In dieser Hinsicht war die Veranstaltung ein (zweifelhafter) Erfolg.[45]

Danach war Bloch isoliert: Er hatte keine Möglichkeit mehr, zu lehren. Seine Forschungstätigkeit war durch das Bibliotheksverbot eingeschränkt und seine Schüler und Anhänger waren entweder auf Linie gebracht worden und hatten sich von ihm distanziert, oder sie saßen im Gefängnis bzw. in der Bundesrepublik. Dennoch wollte Bloch, und dieses Muster betrifft auch fast alle nach ihm folgenden „Verstoßenen“, in der DDR bleiben, da er, so seine Überzeugung, als Sozialist in diesem Staat am besten wirken könne.[46] Bloch versuchte auch immer wieder, nach Anerkennung und Befreiung aus der Isolation zu streben. So sollte er z. B. im Dezember 1957 aus dem Kulturbund ausgeschlossen werden. Als Begründung wurde seine Meinung über die Geschehnisse in Ungarn und seine Kritik am gesellschaftswissenschaftlichen Studium in der DDR vorgebracht, außerdem soll er Johannes R. Becher beleidigt haben. Am Tag darauf entschuldigte sich Bloch bei Becher und er distanzierte sich von Zwerenz und Harich. Er gab nach, weil er bleiben wollte, doch es half ihm nichts, er wurde dennoch ausgeschlossen.[47] Allerdings muss auch angemerkt werden, dass 1959 noch der dritte Band des „Prinzip Hoffnung“ in der DDR erschien. Vielleicht gab dies Bloch auch weiterhin Hoffnung, dass sein Leben in diesem Land wieder besser werden würde.
Zwei Jahre später, im August 1961, befand sich Bloch zufällig zu dem Zeitpunkt auf Westreise, als die Mauer gebaut wurde. Er hätte in die DDR zurückkehren können und hat dies wohl auch einige Zeit bedacht. Letztlich entschieden sich die Blochs aber, in der Bundesrepublik zu bleiben. In seinem Brief an den Präsidenten der Deutschen Akademie der Wissenschaften vom September 1961 beschreibt Bloch Beweggründe für das Verlassen der DDR und nennt seine schlechte Situation als Hauptgrund.[48] Laut Münster lag es daran, dass er nicht in einer Diktatur leben wollte. Angst vor Repressalien habe Bloch hingegen nicht gehabt. Er erhielt mit 76 Jahren – für ihn wurde dazu extra ein Gesetz geändert – eine Gastprofessur in Tübingen.[49] Bloch wirkte dort noch einige Jahre und wurde u. a. zu einem der (Vor-)Denker und Begleiter der 68er-Bewegung. Er starb am 4. August 1977.

 

Marxismus vs. Utopie?!

War Ernst Bloch ein Marxist? Viele – vom Selbstverständnis her – Marxisten würden dies verneinen, andere wieder Bejahen. Auch Bloch selbst sah sich zumindest in der Tradition des Marxismus, verortete sich in diesem Spektrum, war aber kein Dogmatiker, war niemand, der sich dem stalinisierten Schulmarxismus unterordnen wollte oder konnte. Dies sorgte dafür, dass Bloch über kurz oder lang mit den Hardlinern in Konflikt geraten musste – es machte ihn aber zugleich zum Mentor all jener, die sich als Marxisten verstanden, sich zur DDR bekannten – dabei aber ein distanziertes bis ablehnendes Verhältnis zur SED-Führung und -Politik bewahrten. Doch was sind die marxistischen Elemente in Blochs Philosophie, wo verlässt er diesen Rahmen und inwieweit ist sein Plädoyer für die Utopie mit dem marxistischen „Bilderverbot“ vereinbar?

Die Philosophie Blochs entspricht oft nicht den Ansprüchen und Vorstellungen wissenschaftlichen Arbeitens.[50] Das liegt daran, dass Bloch erfüllt von Empathie und Subjektivität, aber auch von Wut und Ärger dachte. Für Inge Münz-Koenen liegt hier der Schlüssel zu seinem Denken: „Aber die Entgrenzung der Diskurse und die Fundierung der Ästhetik auf Wahrnehmung ist gerade Blochs Philosophie. Eine Übernahme der analytischen Ansätze ohne die evaluativen Folgerungen macht seine Philosophie erst für ihre Fundierung auf Utopie frei. Anders gäbe es keine Hoffnungsphilosophie, wie immer man zu deren Aussagen steht.“[51]

Und diese Herangehensweise muss auch als Grundlage für Blochs Marxismuszugang berücksichtigt werden: „In Bloch ist das Pathos der Weltverbesserung, die revolutionäre Leidenschaft vor aller Theorie schon lebendig gewesen, und sie durchwirkt alle Theorie, die sich als Instrument versteht, den utopischen Zustand heraufzuführen. Gerade die vom Marxismus geforderte und verwirklichte Einheit von Theorie und Praxis mußte dem messianischen Impetus des jungen Bloch entsprechen und ihn auf eine Philosophie führen, die die Weltveränderung zu ihrem Inhalt und Programm erhebt und sie als Klassenkampf auf die Tagesordnung setzt. So ist die Perspektive auf Marx und den Marxismus, auf den proletarischen Klassenkampf und die Weltbewegung des Kommunismus von der Philosophie Blochs nicht abzulösen, wie man auch die Besonderheit des Blochschen Denkens betonen mag. Für ihn ist der Marxismus die sich tätig begreifende Menschlichkeit.“[52]

Gleichzeitig vertrat Bloch eine Philosophie, die den Zeitprozess als offen, als Tendenz sah – d. h., die Menschen sollten im Sinne der 11. Feuerbachthese von Marx[53] die Welt gestalten. In der DDR musste solch ein geschichtsphilosophischer Ansatz natürlich der SED-Parteilinie ausgesetzt und untergeordnet werden, was nicht widerspruchsfrei zu machen war. Dieser Widerspruch stand zwischen Blochs Philosophie und dem kanonisierten Marxismus-Leninismus. Und dieser Widerspruch wog mindestens ebenso schwer wie jener zwischen Blochs Freiheitsforderungen und der politisch verordneten Unfreiheit.

Bloch sah den Geschichtsprozess als (relativ) offen an, erkannte zwar Tendenzen, lehnte aber Zwangsläufigkeiten ab.[54] Er war in diesem Sinne zwar ein marxistisch geschulter und materialistisch fundierter Denker, verwehrte sich jedoch gegen geschichtsdeterministische Verstellungen stalinistischer Provenienz. Bloch beharrte auf dem Subjekt als transformatorischem Akteur. Der Sozialismus bzw. Kommunismus – letztlich auch Blochs eigene Utopie – werde nicht von allein kommen, sondern vom Menschen erkämpft werden müssen.

Blochs Hauptwerk ist „Das Prinzip Hoffnung“. Es stellt nicht nur ein Buch über Utopien und utopisches Denken dar, sondern gibt dem Leser zugleich eine Aufgabe mit auf den Weg: Die Verknüpfung von Theorie und Praxis, geleitet durch das Movens Hoffnung. Schon auf der ersten Seite des ersten Bandes stellte er, quasi antagonistisch und zugleich suggestiv gewertet die Begriffspaare „Hoffen“ vs. „Fürchten“ sowie „Aktiv“ vs. Passiv“ gegenüber. Bloch plädierte wenig überraschend für „Aktiv“ und „Hoffen“, denn „Hoffen“ sei aktivierbar.[55] Dazu benötige es allerdings der Utopie, denn „Utopisch Gewolltes leitet alle Freiheitsbewegungen“[56]. Die Utopie liege im Hier-und-Jetzt begründet und müsse erarbeitet, freigelegt werden. Bloch fasste seinen Utopiebegriff dabei viel weiter, als bei klassischen Sozialutopien oder Staatsromanen der Fall. Und er verknüpfte sie mit dem Marxismus: „Die Träume vom besseren Leben, in ihnen war immer schon eine Glückswerdung erfragt, die erst der Marxismus eröffnen kann.“[57]

Bloch verortete die Utopie folglich nicht in einem fernen Wolkenkuckucksheim, sondern sah sie bereits in der Gegenwart angelegt, weshalb die utopische Funktion für ihn auf der Tendenz des real Möglichen basierte und progressiv, prozesshaft, sprengend, nach dem noch nicht erfüllten Guten strebend und voller Hoffnung sei; „ihre Ratio ist die ungeschwächte eines militanten Optimismus“[58]. Dies korreliere im Mitarbeiten am historischen Prozess – seit Marx eben nicht mehr nur philosophisch betrachtend, sondern als aktives und progressives Mitarbeiten zu verstehen. Oder, wie Markun schreibt: „Das Prinzip Hoffnung“ enthalte eine fundierte „Ontologie des Noch-Nicht-Seins“[59].

Blochs Auffassung von der Rolle des Subjekts in diesem Prozess, verstanden als der von ihm geprägte „Aufrechte Gang“ des Individuums im Kollektiv, musste früher oder später mit dem avantgardistischen Führungsanspruch der SED, mit dem Geschichts- und Rollenverständnis des Dialektischen Materialismus kollidieren: Objektive Faktoren würden subjektive permanent hervorrufen und dies ergebe eine dauernde Wechselwirkung, so Bloch. Er wandte sich gegen einen „prozeßhaften Positivismus“, von dem auch der Marxismus teilweise betroffen sei. „Es genügt nicht, vom dialektischen Prozeß zu reden, dann aber die Geschichte als eine Reihe aufeinanderfolgender Fixa oder auch geschlossener ‚Totalitäten‘ zu behandeln. Hier droht eine Verschmalerung und Schmälerung der Wirklichkeit […]. Vielmehr: die konkrete Phantasie und das Bildwerk ihrer vermittelten Antizipationen sind im Prozeß des Wirklichen selber gärend und bilden sich im konkreten Traum nach vorwärts ab; antizipatorische Elemente sind ein Bestandteil der Wirklichkeit selbst. Also ist der Wille zur Utopie mit objekthafter Tendenz durchaus verbindbar, ja in ihr bestätigt und zu Hause.“[60] Die Zukunft bietet in Blochs Sinne eine Pluralität an Möglichkeiten. Den realen Geschichtsverlauf determinieren schlussendlich objektive Faktoren genauso, wie das praktische Wirken des progressiven Subjekts.

In Bezug auf Marx arbeitete sich Bloch insbesondere an dessen 11. Feuerbachthese ab und meinte, diese richte sich gegen philosophische Selbstverliebtheit, wie sie Marx bei Feuerbach ausmachte. Diese Selbstverliebtheit rege den Leser nicht zum praktischen Handeln an.[61] Bloch wandte sich gegen jene, die meinten, Philosophie sei tot und werde nicht mehr benötigt. Darin sah er eine Fehlinterpretation dieser elften These. Vielmehr gehe es um ein neues Verhältnis zur Philosophie, um deren Praxistauglichkeit: „Wirkliche Praxis kann keinen Schritt tun, ohne sich ökonomisch und philosophisch bei der Theorie erkundigt zu haben, der fortschreitenden.“[62] Resultate der Fehlinterpretation seien Barbarei am Marxismus und die Gegenrevolution der Banalität. Bloch musste damit in Widerspruch zu jenen geraten, die den Marxismus-Leninismus scholastisch an den Universitäten und Schulen der DDR vermitteln wollten.[63]

Der zweite Band des „Prinzip Hoffnung“ enthält Blochs Abriss der Sozialutopien. Als zentrales Moment der Utopien benannte er den Gleichheitszustand, der eigentlich Normalzustand sein müsse, denn unnormal sei das reale Sich-Fügen einer Mehrheit unter eine kleine Elite. So sei denn auch das Besondere der Sozialutopien jener Moment des Erwachens der Unterdrückten.[64]

Bloch schreibt, dass das „Reich der Freiheit“ von Marx nicht ausgemalt wurde, fest vorgegeben oder starr war, sondern dass er es als „Ensemble gesellschaftlicher Verhältnisse“ begriffen habe. Entsprechend hielt Bloch eine Begrenzung der Gattung auf Staatsromane für praxisfern und nicht zielführend: „Seit Marx ist der absolute Charakter der Utopien überwunden; Weltverbesserung geschieht als Arbeit in und mit dem dialektischen Gesetzeszusammenhang der objektiven Welt, mit der materiellen Dialektik einer begriffenen, bewußt hergestellten Geschichte.“[65]

Marx zeige objektiv Widersprüche in den bestehenden Ökonomien auf, so Bloch. „Ebendeshalb findet sich auch, was den sogenannten Zukunftsstaat angeht, keine privat, von außen, ante rem, herangebrachte Detaillierung abstrakt-antizipierender Art, wie in den alten Utopien.“[66] Marx habe wissenschaftlich analysiert, was seine Absage an ausgemalte Zukunftsbilder begründe: „Bezeichnungen der Zukunft fehlen überlegt, […] weil Marxens ganzes Werk der Zukunft dient, ja überhaupt nur im Horizont der Zukunft begriffen und getan werden kann, jedoch als einer nicht utopisch-abstrakt ausgemalten. Sondern als einer, in uns aus der Vergangenheit wie Gegenwart, aus den wirkenden, weiterwirkenden Tendenzen also, historisch-materialistisch erleuchtet wird, um so erst eine wissend-gestaltbare zu sein.“[67] Für Bloch gehörte Utopie dennoch, auch nach der „Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft“, zum Marxismus.[68] Weder überschäumende Träume, noch Empirie in Reinform waren für ihn marxistisch. Vielmehr setzte Bloch auf eine Dialektik von Nah- und Fernzielen, von abstrakter und konkreter Utopie.[69] „Bloch geht es – auch beim Utopischen – um die geschichtliche Handlungsfähigkeit des Menschen. Deshalb bestimmt er den Marxismus als ‚konkrete‘, Utopie, und konkret heißt: realisierbar. Utopie ist er in Blochs Verständnis dennoch, weil mit dem Kommunismus der Geschichte ein höchstes Ziel gesetzt ist. Marx selber bezeichnet es als ‚Reich der Freiheit‘ – eine Metapher, die selbst wie das säkularisierte Eschaton wirkt.“[70]

Marx und Engels verwehrten sich gegen eine bildhafte Ausmalung des zukünftigen Kommunismus, da sie solche konkreten Träume und Wünsche nicht für zielführend hielten. Diesem „Bilderverbot“ ordneten sich die meisten überzeugen Marxisten unter, auch wenn sich selbst bei namhaften Vertretern wie August Bebel („Die Frau und der Sozialismus“), Alexander Bogdanow („Der Rote Planet“, „Ingenieur Menni“) oder Lenin („Staat und Revolution“) Ausnahmen finden. Diese Autoren verfassten zwar selbst utopische Szenarien, lehnten die Utopie als Mittel aber in ihrem marxistischen Selbstverständnis ab. Und so kommt es Bloch zu Ehren, „daß er einer der ersten war, der sich im deutschen Sprachraum über das antiutopische Bilderverbot der marxistischen Denktradition hinwegsetzt“[71].

Aus heutiger Perspektive ist an Blochs eigener Utopie insbesondere sein Hoffen auf die Möglichkeiten des technischen Fortschritts bei völliger Inkaufnahme der Zerstörung und Umformung natürlicher Ressourcen kritisierbar.[72] Für ihn stellte nicht die Industrialisierung das Problem dar, sondern der sie ausbremsende Kapitalismus: „Die technischen Möglichkeiten, ja Wirklichkeiten von heute werden mittels einer überalterten Wirtschaftsform künstlich gedrosselt. Das gesellschaftliche Machtverhältnis läßt die Technik nur zu Kriegszwecken frei, zur Produktion von Todesmitteln; die Gewalt dieser Produktion zeigt aber allein schon an, wie üppig die Herstellung von Lebensmitteln gedeihen könnte.“[73] Am Ende des zweiten Bandes konkretisiert Bloch selbst sein Utopia. Schöpferische Arbeit stellt für ihn die Grundlage dar; sowohl für die menschliche Gesellschaft, als auch für das Verhältnis zur Natur. Die Spannungsfelder Kapital vs. Arbeit, Hand- vs. Kopfarbeit, Stadt vs. Land verschwinden, und zwar vorrangig „durch Arbeit und Muße“. Arbeit wird verkürzt und von der kapitalistischen Entfremdung befreit.[74]
Diese emanzipatorischen Ziele, diese Betonung des Subjektes standen der Subalternität des Individuums im Realsozialismus entgegen. Folgende Kritik Blochs lässt sich ohne weiteres auch auf die gesellschaftspolitischen Zielsetzungen der SED anwenden: „Am schlimmsten, wenn eine Gruppe zwar halb rot geworden, aber in der anderen Hälfte ebenso kleinbürgerlich und diese andere Hälfte all die edlen Eigenschaften des Spießers überliefert, anerzieht und fortentwickelt. Da ist nicht nur die Liebe zum äußeren Kitsch, sondern noch bedenklicher würde die Erzeugung von menschlichem Kitsch, ja von Entartung menschlicher Beziehungen sein, mitten im Aufstieg zu den freisten und kühnsten Zielen.“[75] Und diese Kritik teilten so ziemlich alle aufmüpfigen DDR-Intellektuellen, die sich ja meist nicht gegen den Sozialismus, sondern nur gegen autoritäre Elemente des Systems, gegen die kleinbürgerlich-formierte Gesellschaft realsozialistischer Provenienz, wandten. Sie teilten Blochs Utopie, sein Hoffen auf bessere Zeiten, das mit Handeln zu versetzen war.

„Freiheit steht am Ende als das Ziel, auf das die Hoffnung gerichtet ist. Aber nicht eine leere und propagandistisch zu mißbrauchende Vorstellung von Freiheit, sondern eine konkrete, die Schritt für Schritt erreichbar ist: Freiheit von Not und von Furcht, Freiheit zur Entfaltung der eigenen Anlagen und Möglichkeiten, Freiheit der nicht vereitelten Solidarität mit den Mitmenschen.“[76] Der damit umschriebene Freiheitsbegriff umfasst auch „bürgerliche“ Freiheiten, die laut Bloch nicht negiert, sondern dialektisch aufgehoben werden sollen – und zwar am Ende „unserer Epoche“, im Kommunismus. „Das ist der letzte Sinn von Blochs Werk insgesamt: das Reich der Freiheit, in dem Freiheit und Ordnung identisch werden.“[77]

 

  1. Marxistische Oppositionelle in Blochs Tradition

 

Als Bloch 1961 die DDR verließ, löste das bei vielen führenden SED-Funktionären Erleichterung aus. Die Strategie der Isolation hatte funktioniert. Eine ähnliche Strategie wurde in den siebziger Jahren dann auch bei Robert Havemann versucht, hier wurde zur Isolation sogar ein Hausarrest auferlegt. Doch Havemann war nicht mundtot zu machen und blieb er bis an sein Lebensende 1982 in der DDR. Auch sonst finden sich viele Analogien zwischen Bloch und dem wohl wichtigsten DDR-Dissidenten, sowohl was die Strategie, als auch was die Utopie betrifft.

Havemann war Naturwissenschaftler und wurde 1964 politisch bekannt, als er als hoher Multifunktionär so mit den Herrschenden in Konflikt geriet, dass diese in verstießen. Da er über eine antifaschistische Widerstandsbiografie und über internationales wissenschaftliches Renommee verfügte, wagte man es nicht, ihn einzusperren. Havemann fand in der Folge immer Mittel und Wege, um über die westlichen Medien Kritik am Realsozialismus zu üben – ohne dabei von seinem Selbstverständnis als Marxist abzurücken.

Insbesondere Havemanns 1980 erschienene Utopie „Morgen. Die Industriegesellschaft am Scheideweg“ muss in Bezug auf den Einfluss von Blochs Denken erwähnt werden. Ein Kapitel des Buches heißt sogar „Utopie und Hoffnung“. Darin fordert er, dass das ontologische „Prinzip Hoffnung“ nicht verloren gehen dürfe, da es die Basis für Gegenwehr darstelle: „Das Prinzip Hoffnung ist das einzige, was die Welt aufwärts bewegen kann.“[78] Aus diesem Grund malte er im Anschluss auf ca. 100 Seiten sein eigenes „Lichtland“ aus, das einen „Dritten Weg“ zwischen Realsozialismus und Kapitalismus weisen sollte.[79] Zwar als ökologische Utopie angelegt, konnte Havemann jedoch nicht über seinen Schatten als Naturwissenschaftler springen und wandte letztlich ein ähnlich instrumentelles Naturverständnis an, wie Bloch in den fünfziger Jahren.

Auch Rudolf Bahro, ein anderer namhafter Dissident, wurde von Bloch beeinflusst. Sein 1977 erschienenes Buch „Die Alternative. Zur Kritik des real existierenden Sozialismus“ beinhaltete neben einer Auseinandersetzung mit den Mängeln des Realsozialismus und deren Ursachen[80] auch einen utopischen Teil, gleichfalls als „Lichtland“ beschreibbar. Analog zu Bloch und Havemann plädierte er für die Notwenigkeit der Utopie, um revolutionär bzw. transformatorisch gesellschaftlich vorwärts kommen zu können. Utopie war dabei auch in Bahros Verständnis prozesshaft.[81]

Auch was die Verknüpfung von Theorie und Praxis betrifft, war Bahro Bloch sehr nahe. Auch er bezog sich auf die 11. Feuerbachthese, auch er verlangte von den Intellektuellen, dass sie sich unter die Menschen mischen und mit ihnen die Transformation der Gesellschaft vorantreiben sollten. Und er entwickelte eine Strategie, die aus einem Minimal- und einem Maximalprogramm bestand – analog zu Blochs Ansatz einer Verknüpfung von Nah- mit Fernzielen.[82]
Bahro, der Bloch 1977 einem IM der Staatssicherheit gegenüber als „zwar […] utopischer, so doch immerhin ein marxistischer Philosoph“[83] bezeichnet hatte, legte seine Transformationsstrategie analog zu Bloch an, wie Kirchner bemerkt: „Bloch profiliert mit Hilfe von Campanellas Civitas solis und Thomas Morus‘ Utopia Grundtypen der Sozialutopie: Ordnungsutopie (Campanella) versus Freiheitsutopie (Morus). Die Entwicklung hin zum Kommunismus beschreibt er nach der Regel: Über den Sonnenstaat zur Freiheit. Denselben Verlauf erklärt Bahro zur historischen Gesetzmäßigkeit.“[84] Und auch bei Bahro findet sich der Grundsatz einer „antiindividuellen Kollektivvorstellung“, was letzten Endes auf idealistische Weise den Widerspruch zwischen Individuum und Kollektiv übertüncht und die Gefahr nicht reflektiert, dass „Freiheit [dann] bedeutet, […] daß das Wollen des Einzelnen deckungsgleich ist mit der zur Freiheit deklarierten Ordnung.“ Was mit jenen passieren soll, die gegen diese Ordnung denken könnten, wird offen gelassen[85]

Das gleiche Manko betrifft auch Wolfgang Harichs 1975 erschienenes utopisches Konzept „Kommunismus ohne Wachstum? Babeuf und der Club of Rome“. Bloch und Harich kannten sich lange, aber sie waren nie Freunde[86] und das Verhältnis zwischen ihnen kühlte sich nach Harichs Verhaftung merklich ab, da dieser in seiner Aussage vor Gericht auch Bloch belastete.[87] Im Gegenzug ging Bloch in seinem Offenen Brief an die SED auf Distanz zu Harich und beschrieb ihr Verhältnis als rein beruflich. Münster meint: „Mit dieser Abgrenzung zu Harich versuchte Bloch offenbar Zeit zu gewinnen. um auf die auf ihn zukommenden großen Schwierigkeiten besser reagieren zu können.“[88]

In „Kommunismus ohne Wachstum?“ plädierte Harich für eine globale Ökodiktatur, in der er das einzige probate Mittel zur Abkehr jener Gefahren sah, die der Club of Rome zu Beginn der siebziger Jahre prognostiziert hatte.[89] Mit Blochs „Prinzip Hoffnung“ hatte das Buch inhaltlich wenig gemein: Harich ordnete den Menschen rigoros der Natur unter, wies emanzipatorische Forderungen zurück und plädierte auch nicht für eine breit ausgelegte Philosophie der Praxis, sondern für eine asketisch-ökologische Weltdiktatur. Dennoch findet sich die Gemeinsamkeit, dass auch bei Harich das Individuum zur Erfüllung eines vermeintlich guten Zweckes gegenüber dem Kollektiv und einer höheren Idee zurückzustecken hat.

 

  1. Fazit 

Das „Prinzip Hoffnung“ war sinnstiftend für große Teile der kritischen DDR-Intelligenz. Es ermöglichte ein Festhalten an der Utopie des Kommunismus, die der – im Gegensatz dazu – ernüchternden Realität entgegen gehalten werden konnte. Sicherlich war das auch eine Möglichkeit der Verdrängung immanenter Widersprüche zwischen Idee und praktischer Umsetzung.

Wolfgang Emmerich listet in seiner „Kleinen Literaturgeschichte der DDR“ die Werke und Autoren auf, die unmittelbar von Bloch beeinflusst wurden. Er nennt eine ganze Reihe von Büchern, die im Zeichen des Bloch‘schen utopisch-marxistischen Denkens stehen: „Mutmaßungen über Jakob“ (Uwe Johnson, 1959), „Nachdenken über Christa T.“ (Christa Wolf, 1969) „Die neuen Leiden des jungen W.“ (Ulrich Plenzdorf, 1972), „Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz“ (Irmtraud Morgner, 1974) und „Unvollendete Geschichte“ (Volker Braun, 1975).[90]

Auch Bahro, Harich und Havemann folgten Blochs „Programm eines utopisch aufgeladenen Marxismus“[91] und dessen These, dass „Freiheit als Utopie des westlichen Kapitalismus […] Chloroform“[92] sei. Alle Vier neigten in ihren Utopien zu Homogenitätsvorstellungen, denen es an Selbstreflexion mangelt und die das Konfliktfeld zwischen Individuum und Kollektiv übergehen.

Doch nicht nur die mehr oder minder prominenten Intellektuellen waren von Bloch beeinflusst, sondern auch kleine Oppositionszirkel verschlangen seine Schriften. „Das Prinzip Hoffnung“ wirkte hier enorm, was auch der SED nicht entging. Im Leipziger Tagungsband von 1985 schreibt z. B. Eberhard Fromm: „Schließlich führt die spezifische Marxismusrezeption im BLOCHschen Werk immer wieder Kräfte, die am Marxismus interessiert sind, denen aber – häufig durch antisozialistische Vorbehalte – der Zugang zum Marxismus-Leninismus als nicht gangbar erscheint, zu BLOCH und seiner Philosophie. Meist sehen sie in BLOCH einen Marxisten und übernehmen dadurch unkritisch solche Positionen, die theoretisch von der Weltanschauung der Arbeiterklasse wegführen. Bei kritisch-produktiver Beschäftigung mit BLOCHS Konzept kann es jedoch bei solchen Kräften durchaus zu einem theoretischen Annäherungsprozeß an den Marxismus-Leninismus kommen.“[93] Und seine Kollegin Martina Thom ergänzte, dass Blochs pathetische Sprache und Utopie einen „Anziehungspunkt besonders für linksgerichtete bürgerliche Intellektuelle“[94] darstellen würde. Das dem so war, daran gibt es kaum Zweifel.

 

Literatur

 Amberger, Alexander [2011]: Die Wandlungen des ökologischen Harich, in: Ders./Prokop, Siegfried: Ein „rot-grünes“ Deutschland? Über eine Vision Wolfgang Harichs 1989/90, Helle Panke e. V. (Hg.): hefte zur ddr-geschichte, Nr. 123, Berlin 2011, S. 5-24

Bahro, Rudolf [1977]: Die Alternative. Zur Kritik des real existierenden Sozialismus, 3. Auflage, Köln/Frankfurt am Main 1977

Bahro, Rudolf [1979]: … die nicht mit den Wölfen heulen. Das Beispiel Beethoven und sieben Gedichte, Köln/Frankfurt am Main 1979

Bloch, Ernst [1973]: Das Prinzip Hoffnung, 3 Bände, Frankfurt am Main 1973

Bloch, Ernst [1980]: Abschied von der Utopie? Vorträge, Frankfurt am Main 1980

Bloch, Ernst [1985]: Politische Messungen, Pestzeit, Vormärz, Frankfurt am Main 1985

Caysa, Volker u.a. [1992]: „Hoffnung kann enttäuscht werden“ Ernst Bloch in Leipzig, Frankfurt am Main 1992

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Fromm, Eberhard [1985]: Stichpunkte zum Thema: Bloch heute, in: Ernst Bloch und die spätbürgerliche Philosophie, Leipzig 1985, S.21-29

Hager, Kurt [1956]: Der Kampf gegen bürgerliche Ideologien und Revisionismus, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, Nr. 5-6/1956 (erschienen 1957), S. 533-538

Harich, Wolfgang [1999]: Ahnenpaß. Versuch einer Autobiographie, Herausgegeben von Thomas Grimm, Berlin 1999

Havemann, Robert [1980]: Morgen. Die Industriegesellschaft am Scheideweg. Kritik und reale Utopie, München 1980.

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Hoeft, Brigitte (Hg.) [1990]: Der Prozeß gegen Walter Janka und andere. Eine Dokumentation, Reinbek bei Hamburg 1990

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Maffeis, Stefania [2007]: Zwischen Wissenschaft und Politik. Transformationen der DDR-Philosophie 1945-1993, Frankfurt am Main 2007

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Malycha, Andreas [2006]: Reformdebatten in der DDR, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Heft 17-18/2006, Krisenjahr 1956, S. 25-32, Bonn 2006

Markun, Silvia [1977]: Ernst Bloch in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek bei Hamburg 1977

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Zwerenz, Gerhard/Zwerenz, Ingrid [2004] Sklavensprache und Revolte. Der Bloch-Kreis und seine Feinde in Ost und West, Hamburg und Berlin 2004

 BStU, MfS, HA XX/9, Nr. 880

[2]              In einem Interview mit dem „Neuen Deutschland“ sprach Bloch kurz nach seiner Ankunft in Bezug auf die USA von einer „verrottete[n] Welt […]. Vgl. Zudeick [1985], S. 187.

[3]              Vgl. Caysa [1992], S. 26 f., Markun [1977], S. 38., Zudeick [1985], S. 193.

[4]              Zu den Debatten an der Universität vgl. Caysa [1992], S. 27 ff. Letztlich entschied das sächsische Ministerium für Volksbildung für Bloch und somit gegen die Mehrheit der Entscheidungsträger an der Philosophischen Fakultät.

[5]              Vgl. Münster [o. J.], S. 258 f.

[6]              An dieser Stelle kann nicht Blochs gesamte Biografie nachgezeichnet werden. Dies wurde auch schon mehrfach in Buchform getan. Hervorzuheben sind hier Peter Zudeicks „Der Hintern des Teufels“ (1985) und Silvia Markuns Monografie „Ernst Bloch“ (1977).

[7]              Bloch erhielt nicht nur ein Angebot aus Leipzig, sondern auch eines von der Humboldt-Universität Berlin.   Vgl. Caysa [1992], S. 24.

[8]              Markun [1977], S. 82.

[9]              Ebenda.

[10]   Vgl. Münster, Arno [o. J.], S. 255.

[11]             Vgl. Zudeick [1985], S. 184.

[12]             Vgl. Zudeick [1985], S. 218 f.

[13]             Vgl. Zudeick [1985], S. 206.

[14]             Vgl. Münster [o. J.], S. 269.

[15]             Zudeick [1985], S. 191. In Bezug auf sein ambivalentes Verhältnis zum Realsozialismus fährt Zudeick fort: „Man muß sich wohl mit dieser Erklärung behelfen: Bloch hielt im engeren Wirkungskreis solche Kritik für angemessen, in der Außenwirkung aber nicht, so daß er in Aufsätzen mit deutlich politischem Anstrich die Parteidisziplin wahrte, von der eben die Rede war.“ Ebenda, S. 193.

[16]             Vgl. Kirchner [2002], S. 29 ff.

[17]             Zwerenz/Zwerenz [2004], S. 339, vgl. dazu auch Münz-Koenen [1997], S. 85.

[18]             Vgl. Heyer [2011], S. 51 ff. und Maffeis [2007], S. 104.

[19]             Vgl. Harich [1999], S. 193 f. „Während der Logik-Konferenz in Jena im November 1951 wurde die Frage nach Herausgabe einer philosophischen Zeitschrift behandelt. 1952 wurde hierfür eine Kommission gegründet, der u. a. Ernst Bloch und Wolfgang Harich angehörten. […] Die Leitung der Zeitschrift hatte das Redaktionskollegium inne, das von führenden Vertretern der philosophischen Hierarchie besetzt wurde. Die meisten Mitglieder im Redaktionskollegium kamen von den Instituten für Philosophie der Akademien und waren Direktoren einzelner Wissenschaftsbereiche (U.a. Erich Hahn, Manfred Buhr, Alfred Kosing, Herbert Hörz, Wolfgang Eichhorn und Vera Wrona). Das waren dieselben Philosophen, die in den wissenschaftlichen Gremien saßen. Weiter wurde das Redaktionskollegium mit dem Kulturminister, mit Vertretern der Parteihochschule Karl Marx, des Instituts für Marxismus-Leninismus sowie mit einzelnen Hochschullehrern besetzt. […] Einige philosophische Kontroversen konnten sich in den ersten drei Jahren der Zeitschrift relativ offen entwickeln, bis 1956 durch die Verhaftung der Gruppe um Harich die Position der Heterodoxen politisch und philosophisch brutal ausgeschaltet wurde.“ Maffeis [2007], S. 94.

[20]   Vgl. dazu Markun [1977], S. 75 ff.

[21]             Vgl. Zudeick [1985], S. 189. und Markun [1977], S. 68.

[22]             Vgl. Maffeis [2007], S. 96 ff., Horster [o. J.], S. 11.

[23]             Zudeick [1985], S. 203.

[24]             Vgl. Caysa [1992], S. 39.

[25]             Vgl. Heyer [2011], S. 55 f., vgl. auch Markun [1977], S. 88 f.

[26]             Artikel Blochs in der DZfPh waren z. B. „Über die Kategorie Möglichkeit“. (Heft 1/1953), „Keim und Grundlinie – zu den elf Thesen von Marx über Feuerbach“ (Heft 2/1953), „Die antizipierende Funktion“. (Heft 3-4/1953), „Zweierlei Kant-Gedenkjahre“ (Heft 1/1954) und „Über Freiheit und objektive Gesetzlichkeit, politisch gefaßt“ (Heft 4/1954).

[27]             Vgl. Harich [1999], S. 321.

[28]             Harich [1999], S. 241. Zudeick schreibt dazu: „1955 war die Redaktion erweitert worden, weil die Parteileitung mit der Arbeit vor allem des Chefredakteurs Wolfgang Harich unzufrieden war, 1956 erscheint ein Leitartikel der Redaktion mit dem Titel: ‚Über die Lage und die Aufgaben der marxistischen Philosophie in der Deutschen Demokratischen Republik‘. Zwar wird Herausgeber Bloch noch gelobt als Freund und Mitstreiter, als ‚leidenschaftlicher Kämpfer für die Interessen der deutschen Arbeiterklasse‘. […] Auch Chefredakteur Harich wird kritisiert, weil er den geistigen Bedürfnissen der neuen Kräfte der Republik nicht genügend Aufmerksamkeit gewidmet, vielmehr die Planung der Zeitschrift ‚den oft recht beliebigen Wünschen der Autoren‘ angepaßt habe. Das ist wiederum eindeutig auf Bloch gemünzt, der Vorabdrucke des ‚Prinzip Hoffnung‘ in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift ohne große Mühe hatte unterbringen und auch Aufsätze von Lukács immer wieder hatte platzieren können.“ Zudeick [1985], S. 231.

[29]                Vgl. Kirchner [2002], S. 31.

[30]             Nachzulesen in Blochs Text „Über die Bedeutung des XX. Parteitags“ vom Mai 1956. Darin schreibt er: „Wie doch ein bloßes Wegtun uns reich machen kann. Diesfalls ein Wegtun des Drückenden, Falschen, Hemmenden, das sich an der großen Sache angesetzt hatte.“ Bloch [1985], S. 357.

[31]             Bloch forderte im März 1956 im Wissenschaftlichen Rat bei der 3. Parteikonferenz der SED Walter Ulbrichts Rücktritt. Vgl. Caysa [1992], S. 40.

[32]             Vgl. Zudeick [1985], S. 224 ff. Das Protokoll der Konferenz der Sektion Philosophie der Deutschen Akademie der Wissenschaften vom 8. bis 10. März 1956 ist unter dem Titel „Das Problem der Freiheit im Lichte des wissenschaftlichen Sozialismus“ im Akademie-Verlag erschienen.

[33]             Bloch [1985], S. 358.

[34]             Bloch [1985], S. 359 ff.

[35]             Die Geschehnisse minutiös rekonstruiert hat Siegfried Prokop: „1956 – DDR am Scheideweg. Opposition und neue Konzepte der Intelligenz“, Berlin 2006.

[36]             Vgl. Zudeick [1985], S. 232 ff.

[37]             Vgl. Münster [o. J.], S. 282., vgl. auch Malycha [2006].

[38]             Kirchner [2002], S. 32.

[39]             Abgedruckt in Caysa [1992], S. 138-149.

[40]             Zudeick [1985], S. 233.

[41]             Vgl. Münster [o. J.], S. 285 ff.

[42]             Vgl. Zudeick [1985], S. 240 f.

[43]             Vgl. Markun [1977], S. 95 f.

[44]             Hager [1956], S. 535. Noch 1985 schrien Eberhard Fromm in einer in Leipzig erschienenen Publikation über Bloch, dass dieser ein selektives Verhältnis zum Marxismus-Leninismus (M-L) pflegte: Er habe sich für seine eigene Philosophie in Teilen beim M-L bedient – aber nur, insoweit diese Elemente für ihn nützlich waren. Anderes habe er völlig übergangen und sei nie zum Vertreter oder Anhänger des M-L geworden. Dieses distanzierte Verhältnis wirke bis „heute anziehend auf verschiedene Gruppierungen“. Hier spiele auch Blochs „unausrottbarer Humanismus und sein betonter Antifaschismus“ eine Rolle. Vgl. Fromm [1985], S. 23.

[45]             Vgl. Caysa [1992], S. 45.

[46] Vgl. Zudeick [1985], S. 243.

[47] Vgl. Prokop [2006], S. 292.

[48] Vgl. Markun [1977], S. 102.

[49] Vgl. Münster [o. J.], S. 307 f.

[50] Vgl. Kirchner [2002], S. 26.

[51] Münz-Koenen [1997], S. 37.

[52]Markun [1977], S. 78.

[53] Die These lautet: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kömmt drauf an, sie zu verändern.“ Marx [1958], S. 7.

[54]„Bei Bloch ist nie von einem Gesetz die Rede, das sich mit eherner Notwendigkeit durchsetzt, wenn auch von einer Tendenz, die aber durchaus noch offen und unentschieden ist.“ Horster [o. J.], S. 70, vgl. auch Bloch [1973], S. 8.

[55] Bloch [1973], S. 1.

[56] Bloch [1973], S. 6.

[57]Bloch [1973], S. 16.

[58] Bloch [1973], S. 166.

[59] Markun [1977], S. 72, vgl. zu Blochs Ontologie auch Münz-Koenen [1997], S. 27.

[60] Bloch [1973], S. 227.

[61] Vgl. Bloch [1973], S. 319.

[62] Bloch [1973], S. 321 f..

[63] Schon in einem Text von 1951 benannte Bloch die Gefahr, dass sich statt zum dialektischen Denken geschulte Studenten nur dogmatisch-scholastisch ausgebildete Karrieristen entwickeln könnten, welche in Entscheidungssituationen überfordert sein würden. Er nannte diese „Diplomschematiker“. Wissenschaft funktioniere nur über Objektivität, Offenheit und Diskussionen, so Bloch. Vgl. Bloch [1985], S. 354. Und Zwerenz schreibt dazu: „Des Philosophen Parteifeindlichkeit, Ende 1956 mit gewaltigem Getöse entdeckt und zum Lehrverbot führend, war 1954 in Band eins des Hauptwerkes längst enthalten. Allerdings verschlüsselt.“ Zwerenz/Zwerenz [2004], S.232.

[64] Vgl. Bloch [1973], S. 551.

[65] Bloch [1973], S. 680.

[66] Bloch [1973], S. 724.

[67] Bloch [1973], S. 725, vgl. auch Münz-Koenen [1997], S. 46.

[68] Vgl. Kirchner [2002], S. 43 f.

[69] Die Dialektik von Nah- und Fernziel hat Bloch u. a. in „Abschied von der Utopie“ beschrieben. Vgl. Bloch [1980], S. 111 ff.

[70] Münz-Koenen [1997], S. 47.

[71] Saage [2003], S. 401.

[72] Vgl. Radkau [2011], S. 110 und Saage [2003], S. 424.

[73] Bloch [1973], S. 1054.

[74] Bloch [1973], S. 1080.

[75] Bloch [1973], S. 1603. Münz-Koenen schreibt: „Blochs Hoffnungsphilosophie ist subjektzentriert, aber individualitätsfeindlich.“ Münz-Koenen [1997], S. 54.

[76] Markun [1977], S. 80. „Das einleuchtende Identitäts-Ideal (d. i. Die Freiheit des Fürsichseins) wird mit anderen Worten zum normativen Leitbild erhoben. Es stellt innerhalb der Hoffnungsphilosophie den obersten, unhintergehbaren Leitwert für praktisches Handeln dar. Damit beansprucht die Blochsche Metaphysik auch, gesellschaftlich handlungsorientierend zu sein.“ Kirchner [2002], S. 23. Für Zudeick setzte Bloch hier mit seinem „Wärmestrom“ des Marxismus an: „Dieses Ziel lautet mit den Begriffen des jungen Marx Ende der Selbstentfremdung, Beseitigung aller Verhältnisse, in denen der Mensch ein erniedrigtes, geknechtetes, verlassenes, verächtlich gemachtes Wesen ist, lautet Naturalisierung der Menschen, Humanisierung der Natur, lautet Reich der Freiheit […]. Voraussetzung für die Erreichung eines solchen Ziels sind Sozialismus, Kommunismus, klassenlose Gesellschaft.“ (213

[77] Markun [1977], S. 81.

[78] Havemann [1980b], S. 72. Bloch schrieb ähnlich im „Prinzip Hoffnung“, dass das mit „militantem Optimismus“ versehene Proletariat der subjektive Faktor der Revolution sei. Vgl. Bloch [1973], S. 229.

[79] Kirchner merkt hierzu im Allgemeinen kritisch an: „Wie wohl kein anderer Denkansatz konnte die Blochsche Utopie die Entzauberung des sozialistischen Traums immer wieder verhindern, Faszination an die Vorstellung einer ‚ganz anderen‘ Zukunft binden […].“ Kirchner [2002], S. 11.

[80] Die Quintessenz von Bahros Analyse des DDR-Systems äußerte Bloch im Grunde bereits im Jahr 1970 in der Bundesrepublik: „Arbeiter sind nicht nur Marx fremd geworden, sie kommen durch die Hürde Parteidiktatur nicht mehr zu Marx selber hin und verwechseln ihn mit einem Sozialismus, der drüben so geworden scheint, während er dort eher noch gar nicht recht angefangen hat. Vielmehr, er hat sich dort festgefahren in Apparatschiks, […] in grausamen Institutionen, in Mitteln, die nicht den Zweck heiligen, sondern ihn dem gemeinen Auge fast verdecken.“ Bloch [1985], S. 471.

[81] Vgl. Bahro [1979], S. 64.

[82] Vgl. Bahro [1977a], S. 485 ff.

[83] BStU, MfS, HA XX/9, Nr. 880, S. 162.

[84] Kirchner [2002], S. 103. „Zugleich postuliert er [Bloch – d. Verf.] aber, das Ziel einer Freiheitsutopie a la Morus sei nur über ein Ordnungspathos a la Campanella zu erreichen. […] Dreißig Jahre später beschreibt Rudolf Bahro in Die Alternative die realsozialistische Gesellschaftsentwicklung ebenfalls entsprechend dieser Formel. Seine Ausführungen deuten an manchen Stellen bis in die Formulierungen hinein eine gedankliche Nähe zu Bloch an“ Ebenda, S. 116.

[85] Kirchner [2002], S. 119.

[86] Vgl. Harichs autobiografische Aussagen in Harich [1999], S. 217 f. und S. 322 ff.

[87] Vgl. Hoeft [1990], S. 54 ff. und Mittenzwei [2003], S. 152 ff.

[88] Münster [o. J.], S. 286. Blochs Distanzierung ist nachzulesen bei Caysa [1992], S. 140 f. Später war das Verhältnis zwischen ihnen wieder entspannter. So schickte Harich zu Blochs 90. Geburtstag ein Telegramm nach Tübingen, in dem er sich äußerst wohlwollend über den Jubilar äußerte. Vgl. Münster [o. J.], S. 403.

[89] Vgl. Amberger [2011]

[90] Vgl. Emmerich [2007], S. 277.

[91] Saage [2003], S. 423.

[92] Bloch [1973], S. 682. Vgl. auch Saage [2008], S. 157.

[93] Fromm [1985], S. 27

[94] Thom [1985], S. 48