Ende der Utopie?

Alexander Amberger über marxistische Systemkritik in der DDR.  

Von Siegfried Prokop

In: junge Welt online vom 10.11.2014

In einer jüngst erschienenen Studie untersucht Alexander Amberger die in den 70er und frühen 80er Jahren von Wolfgang Harich, Rudolf Bahro und Robert Havemann niedergeschriebenen marxistischen Postwachstumsutopien; sie gingen davon aus, dass der revolutionäre Impetus ohne die Utopie ihr Ideal verliert. Ohne die progressive Kraft und Dynamik der Utopie würde der Realsozialismus zu einem als »ausweglos« empfundenen System erstarren.

Wolfgang Harich plädierte 1975 in seinem in Interviewform gestalteten Buch »Kommunismus ohne Wachstum?« für eine anmaßende Ökodiktatur, die eher Züge einer Dystopie trug. Er reagierte damit auf den Meadows-Bericht des Club of Rome, der die fatalen Konsequenzen für die Entwicklung der Menschheit aufzeigte, falls die Grenzen des Wachstums überschritten würden. Die offizielle DDR verschwieg den Report nicht, stellte dessen Schlussfolgerungen aber als typisch für die »westliche Welt« dar, dem das »gesunde Wachstum« des Sozialismus gegenüberstehe. Harich ließ diese selbstgefällige Sicht nicht gelten. Er ging davon aus, dass die Vorstellung von einem »Luxuskommunismus« durch einen »homöostatischen Kommunismus«, einen Kommunismus ohne Wachstum, der mit der Ökologie vereinbar ist, ersetzt werden muss. Er plädierte für den sofortigen Übergang zum Kommunismus und für einen Stopp des Bevölkerungswachstums und der individuellen Motorisierung. Da Harich für die Verwirklichung dieser Ziele eine Diktatur für erforderlich hielt, wurde ihm häufig vorgeworfen, ein »Ökostalinist« zu sein. Amberger hält dem entgegen, dass Harichs Utopie nicht »stalinistisch« war, wohl aber »archistisch im Sinne von Lenins ›Diktatur des Proletariats‹«. Außerdem weist er darauf hin, dass sich Harich von dieser Vorstellung später distanziert habe. 1980 wurde die dem Kulturbund angegliederte »Gesellschaft für Natur und Umwelt« (GNU) gegründet, die nach fünf Jahren bereits über 50.000 Mitglieder verfügte. Zusätzlich gab es einen Minister für Umweltfragen und dazu staatliche umweltpolitische Räte, Ausschüsse und Inspektionen. Diese Institutionen waren allerdings allesamt dem Primat der kriselnden Wirtschaft und dem Druck der Staatsverschuldung unterworfen. Sie konnten vorwiegend im lokalen und kommunalen Raum kleinere Wirkungen erzielen. Die SED verschwieg Umweltprobleme nicht kategorisch. Sie habe versucht, diese in einer »taktischen Kombination aus Vertuschung und Einbindung« in den Griff zu bekommen.

Rudolf Bahro verfasste sein Buch »Die Alternative« (1977) als Analyse des Realsozialismus, der er einen utopischen Gegenentwurf anfügte. Er fand die materiellen Privilegien der Nomenklaturkader zwar ärgerlich, sah darin aber nicht das zentrale Problem. Dies verortete er auf dem Gebiet der Privilegien, die mit den dauerhaft gesicherten Machtpositionen in Politik, Wirtschaft und Kultur verbunden waren. Die DDR-Bevölkerung lebe dauerhaft subaltern, was dem marxistischen Anspruch nach menschlicher Emanzipation zutiefst widerspreche. Der Antagonismus »Volk und Funktionäre«, das sei die unvermeidliche Dichotomie jeder realsozialistischen Gesellschaft. Bahros Utopie ging davon aus, dass die Menschen in Kommunen leben. Die Kommunen stellen dabei Einheiten eines Ganzen dar. Sie delegieren Vertreter in die Nationalversammlung. Aber nicht diese, sondern ein »Bund der Kommunisten« sei die höchste Instanz. Bahro plädierte gegen ideologische Indoktrination und Bevormundung von oben. Er setzte auf Basisdemokratie. Zwischen Produktion und Verbrauch sollte ein Gleichgewicht hergestellt werden, weshalb es nicht mehr primär um Wachstum gehe.

Robert Havemann verkleidete seine subjektiv-anarchokommunistische Utopie »Morgen« 1980 als Roman. Für Havemann war die Oktoberrevolution zu früh gekommen. So sei ein System geschaffen worden, das als »sozialistischer Feudalismus« bezeichnet werden solle. Die Sowjetunion wurde ein Staat mit absoluter pyramidaler Hierarchie, gegen dessen Willkür keine Rechtsmittel existierten, außer in der erniedrigenden Form der Eingabe. Die Planwirtschaft hielt Havemann für undynamisch und chaotisch. Die Preise entsprächen nicht den Werten, was zur Vergeudung führe. Eine Veränderung sah Havemann nicht »in einem Polizeisystem à la Harich«, das in die Barbarei münde. Der einzige Weg, der durch das große nahende Unheil hindurchführe, sei der Weg eines wirklichen, freiheitlichen Sozialismus. Havemann hoffte also, so Amberger, auf eine Transformation aus den realsozialistischen Gesellschaften heraus, basierend auf den bereits sozialisierten Produktionsmitteln. Damit habe er im Einklang mit Bahro und Harich gelegen. Amberger versteht es in seiner aktuellen Studie, die Rolle der Utopien für die Ausformung der Kritik am realen Sozialismus ins rechte Licht zu setzen.

Schade ist, dass Amberger nicht die Analysen des Realsozialismus von Fritz Behrens in die Betrachtung einbezieht, die erst 1992 unter dem Titel »Abschied von der sozialen Utopie« im Akademie-Verlag erschienen. Im Unterschied zu Harich, Bahro und Havemann ging Behrens davon aus, dass eine Renaissance des Sozialismus eine »systemtranszendente Reform« zur Voraussetzung habe. Bemerkenswert ist auch, dass der Verlag des Buches von Behrens in zeitgeistiger Unterwürfigkeit das Fragezeichen, das der Autor hinter den Titel gesetzt hatte, strich.

Alexander Amberger: Bahro – Harich – Havemann. Marxistische Systemkritik und politische Utopie in der DDR. Ferdinand Schöningh, Paderborn 2014, 332 S., 39,90 Euro