Neues Buch zeichnet eine düstere Zukunftsprognose der Menschheit – Technikgläubigkeit ersetzt soziale Gerechtigkeit
Rezension von:
Friedrich von Borries: Klimakapseln. Überlebensbedingungen in der Katastrophe, Suhrkamp Verlag, Berlin 2010, 207 Seiten, 14 Euro
zuerst veröffentlich in: neues deutschland vom 19.11.2010
Gert Prokop schuf in seinen düsteren Zukunftsromanen »Wer stiehlt schon Unterschenkel?« und »Der Samenbankraub« eine Welt, in der die US-Amerikaner des 21. Jahrhunderts wegen ihrer extremen Umweltverschmutzung vom Rest der Welt dazu verurteilt wurden, unter einer riesigen »Käseglocke«, genannt »Die Isolation«, leben zu müssen.
An dieses Szenario erinnert Friedrich von Borries Buch »Klimakapseln«. Allerdings ist bei ihm das Prinzip umgekehrt: Klimakapseln sind große, abgeschlossene Gebilde, die das Leben in einer unwirtlichen Umwelt ermöglichen. Das Buch, das zu einer inzwischen beendeten Ausstellung in Hamburg gehört, geht von düsteren Prognosen aus, wonach große Teile der Erde bald lebensfeindliche Gebiete werden könnten. Wie und wo werden die Menschen dann leben? Welche Gesellschaftsordnung erwartet sie?
Von Borries geht diesen Fragen nach. Er macht das unterhaltsam und knüpft dabei u. a. an Endzeitszenarien aus Filmen wie »Mad Max« oder »Terminator« an. Sein Buch ist eine interessante Kombination aus Essay, Lexikon und Ausstellungskatalog. In Einzelkapiteln widmet er sich verschiedenen Akteuren und zeichnet einen düsteren Zukunftsentwurf.
Zum Einstieg wählt er den Architekten der Kapselstadt. Dieser schwärmt, dass sein Bauwerk klimaneutral und autark funktioniere. Er träumt davon, dass irgendwann alle Menschen glücklich in solchen künstlichen Kapselstädten leben könnten. Man erfährt dann etwas über die Klimaflüchtlinge. Sie hausen vor den Kapselstädten und machen die Drecksarbeit für deren Bewohner. Dafür, dass sie diesen nicht lästig werden, sind »Sandmänner« als Söldner zuständig.
Es gibt aber auch Kritiker des unsozialen Systems der Klimakapseln: Der »Wettermacher« kann künstliche Wolken erschaffen und so für Regen sorgen. Da sein Wissen von den Herrschenden nicht zum Wohle aller, sondern als militärisches Mittel eingesetzt werden sollte, verließ er die Stadt und hilft nun Opfern des Klimawandels in den verwüsteten Gebieten außerhalb der Kapseln. Dann ist da noch der »Sonnenlenker«, ein verrückter Wissenschaftler, der die Erde durch eine Atombombenexplosion in eine größere Umlaufbahn bringen will. Der »Widerstandskämpfer« geht dagegen gegen die Künstlichkeit der Kapseln mit Gewalt vor. Das Versprechen, dass irgendwann die ganze Menschheit in solchen Kapseln leben könnte, hält er für eine Lüge. Er versucht, das heimliche Gaskraftwerk außerhalb seiner Kapselstadt (die demnach also doch nicht energieneutral funktioniert) zu zerstören. Leider erfährt man nicht, ob es ihm gelingt. Man erfährt auch nicht, was aus dem Plan des »Sonnenlenkers« geworden ist. Denn nach 65 Seiten endet die Geschichte ziemlich plötzlich.
Es schließt sich ein Glossar an. Darin werden die Trends und Erfindungen der Gegenwart erklärt, auf denen die Geschichte aufbaut. Im Text selbst sind Verweise zum Glossar hervorgehoben.
Vieles im Buch erinnert an die Gegenwart, in der die reichen Länder sich bereits gegen Armuts- und Klimaflüchtlinge einmauern. Und es erinnert auch an die Situation innerhalb der westlichen Staaten selbst, wo ökologische und soziale Fragen immer noch getrennt betrachtet werden: Wer genug Geld hat, kann umweltbewusst einkaufen – wer arm ist, kann das nicht und wird dabei durch sozial ungerechte Umweltgesetze finanziell belastet. Umweltschutz kann nur sozial gerecht angegangen werden, das macht die düstere Perspektive von »Klimakapseln« klar. Zudem wird überdeutlich, dass zur Lösung der Klimafrage wesentlich mehr nötig ist als reine Technikgläubigkeit.