Sammelband setzt sich kritisch mit biologistischen und rechtspopulistischen Ansätzen zum Bevölkerungswachstum auseinander
Rezension von: Glättli, Balthasar /Niklaus, Pierre-Alain: Die unheimlichen Ökologen. Sind zu viele Menschen das Problem? 173 S., Rotpunktverlag, Zürich 2014, 19,90 Euro
Zuerst veröffentlicht in: neues deutschland vom 01.04.2015
Rechtspopulisten nutzen die Angst vor »Überfremdung« für Ausgrenzungskampagnen. Probleme der Bevölkerungspolitik müssen jedoch anders gelöst werden.
Vor über 200 Jahren behauptete der britische Ökonom Thomas Malthus, dass die Bevölkerungszahl durch die Menge der Nahrung bestimmt werde, somit kinderreiche Arme selbst schuld an ihrem Elend seien. Die Lösung sah er in Enthaltsamkeit. Dass er es sich damit zu einfach machte, kritisieren vor allem Marx und Engels: Soziale Ungleichheit und mögliche Produktivitätssteigerungen überging Malthus. Nicht Kinderreichtum war Schuld am Hunger, sondern Armut und Ausgrenzung.
Doch Malthus’ Irrlehre hat ihn überlebt und findet sich in modernisierter Form wieder – vorrangig im konservativen und rechtspopulistischen Spektrum. Nun steht nicht mehr das Verhungern der Bevölkerung im Zentrum, sondern deren Aussterben bzw. der Verfall des »Abendlandes«. Ob die Angst vor dem Verschwinden des »eigenen Volkes«, verbunden mit Pegidas Gespenst der Islamisierung Europas oder die gescheiterte Ecopop-Initiative in der Schweiz: Panikmache hat Konjunktur.
Im südlichen Nachbarland verrührte man diese Ängste mit ökologischen Bedrohungen zu einem kruden Mix: Die alte Furcht vor der schon vor fünfzig Jahren von Paul Ehrlich angekündigten »Bevölkerungsbombe« wurde wiederbelebt und mit patriotischen Elementen versehen. Die Zuwanderung in die Schweiz sollte auf ein Minimum zurückgefahren werden. Zugleich forderte Ecopop, Entwicklungshilfe an Familienpolitik in der »Dritten Welt« zu knüpfen – alles zum Wohle der Umwelt. Die biologistische Begründung für Armut und Unterernährung färbte die Initiative grün ein. Doch die Eidgenossen erteilten den Initiatoren im November 2014 eine deutliche Absage.
Darüber werden sich die Herausgeber und Autoren des zuvor erschienenen Sammelbandes »Die unheimlichen Ökologen« gefreut haben. Sie setzen sich mit den Thesen von Ecopop aus verschiedenen Perspektiven auseinander. Auch nach der Abstimmung bleibt das Buch aktuell und bietet viele Zugänge zum Thema – aber auch eine schwankende Qualität der einzelnen Aufsätze.
So versucht der erste Gastbeitrag, Paul Ehrlichs Berechnungsformel der »Bevölkerungsbombe« zu widerlegen. Leider verfällt der Autor dabei in den Duktus der »Sendung mit der Maus« und schüttet zudem das Kind mit dem Bade aus, wenn er mit der Widerlegung von Ehrlichs Formel indirekt das Problem des globalen Bevölkerungswachstums negiert. Shalini Randerias Beitrag ist schlüssiger: Sie kritisiert aus postkolonialer Sicht die Arroganz des Westens, wenn dieser als Lösung der Bevölkerungs- und Frauenfrage Verhütungsmittel anbiete. Dies nütze Pharmakonzernen, nicht jedoch den Frauen im Süden. Randeria kritisiert damit die Entwicklungspolitik, die kurzfristige Symptombekämpfung betreibt, statt sich den sozialen Problemen zu stellen. Analog zu Malthus werde versucht, »Familienplanung als Ersatz für Sozialpolitik« zu betreiben. Emanzipation und Senkung der Geburtenrate seien besser durch Bildungs- und Aufstiegschancen für Frauen zu erreichen. Postkolonial-feministisch ist auch der lesenswerte Text von Annemarie Sancar und Leena Schmittler.
Am Schluss des Buches wird angemerkt, dass es keine einfache Problemlösung für die ökologischen, sozialen und bevölkerungspolitischen Aufgaben der Gegenwart gibt. Viel mehr als einen imaginierten grünen Kapitalismus bieten die Autoren als Alternative nicht an.