Der Bericht »Die Grenzen des Wachstums« stieß in der zerstrittenen deutschen Linken auf Ablehnung. Nur wenige Marxist*innen dachten grün.
Erschienen in: analyse&kritik Zeitung für linke Debatte & Praxis, Nr. 678, 18.1.2021
»Der reaktionäre ideologische Sinn der Theorie von der ökologischen Krise besteht darin, den Umweltschutz an die Stelle der sozialistischen Revolution zu setzen.« Worüber sich Kurt Hager, der »Chefideologe« der SED, am 3. Dezember 1975 bei einer Festrede zum 100. Geburtstag von Friedrich Engels’ »Dialektik der Natur« aufregte, war die medial geführte Umweltdebatte im Westen, gepusht durch den drei Jahre zuvor erschienen Bericht über die »Grenzen des Wachstums«. Erarbeitet hatte ihn ein Forscherteam um Dennis Meadows am MIT, veröffentlicht wurde er vom Club of Rome.
Finanziert wurde das Projekt u.a. von der Volkswagenstiftung. Da der Club of Rome ein elitärer, intransparenter und undemokratischer Männerzirkel war, an dessen Spitze der italienische FIAT-Aufsichtsrat Aurelio Peccei stand, hatten die meisten Linken dem Projekt und seinen Ergebnissen große Skepsis entgegengebracht. Wenn die Wirtschaftslobby Wachstumsgrenzen proklamierte, dann müsse da was im Busch sein, so die Vermutung. Aus heutiger Sicht würde man vieles, was in dem Bericht steht, als links verorten. Damals war das nicht so.
Das Forscherteam nutzte neuste Computertechnik: Ein Großrechner wurde mit Daten aus der ganzen Welt gefüttert und der Fokus auf fünf große Trends gelegt, die nach Ansicht der Forschenden miteinander korrelierten: Erstens die exponentiell wachsende Weltbevölkerung, zweitens die Unterernährung, drittens die fortschreitende Industrialisierung, viertens der wachsende Rohstoffbedarf und fünftens die Vernichtung von Lebensräumen. Per Computersimulation zeigte die Studie, dass ein weiteres ungebremstes Wachstum die Erde in etwa einem Jahrhundert in ein lebensfeindliches Mad-Max-Szenario verwandeln würde. Die Wissenschaftler*innen plädierten für eine baldige Regulierung des Wachstums, für eine Stabilisierung der Zahlen in einem Gleichgewicht. Bevölkerung und Kapital sollten darin konstant gehalten werden, nicht jedoch jene Faktoren, die der Umwelt keinen Schaden zufügen, also postmaterielle Betätigungen wie Bildung, Musizieren, Kunst, Forschung oder Sport. Das werde dadurch möglich sein, dass bei gleichbleibender Kapitalmenge und verbesserter Forschung und Technik das qualitative Moment steige, die Produktionsmittel effizienter würden und somit mehr frei verfügbare Zeit für die Einzelnen zur Verfügung stünde. Technische Lösungen müssten weiterentwickelt werden, wo es dem Umweltschutz diene, bei Recycling, Effizienz oder erneuerbaren Energien. »Langfristige Ziele müssen ausgearbeitet werden und die kurzfristigen darauf abgestellt werden.« Das klingt eigentlich nach einer Steilvorlage für planwirtschaftliche Bestrebungen.
Umweltschutz galt nicht als Links
Doch Linke in Ost und West reagierten verhalten. Viele der Kritiker*innen haben entweder den Bericht nicht in Gänze gelesen, oder sie haben schlichtweg das Potenzial nicht erkannt, das im Ökothema schlummerte. Da waren einerseits die regierenden Realo-Sozialdemokraten, die für mehr Wirtschaftswachstum plädierten, da dies Arbeitsplätze (und somit Wahlstimmen) brachte. Diese Denkweise hat sich bis heute kaum geändert. Die Gewerkschaften sahen dies ähnlich. Bei K-Gruppen und der DKP wurde die Arbeiterklasse glorifiziert. Den emanzipatorischen Gehalt der Marx’schen Frühschriften hingegen, mit dem sich solch ein Gewinn an freier Zeit in Verbindung bringen lässt, sahen damals nur wenige.
In der Bundesrepublik befand sich die Linke nach dem Abklingen von 68 in einer Phase der Neuorientierung und Fragmentierung. Mit Willy Brandt hatte das Land den sozialdemokratischsten Kanzler aller Zeiten. Für eine linke Opposition blieb da nur der außerparlamentarische Raum. Doch auch hier bestand zwischen der SPD und Linksaußen kein großer Dissens bezüglich der Ablehnung eines Nullwachstums. Umweltschutz galt nicht als Links. Das »Konservieren« der Schöpfung, der Erhalt von »Natur« und »Heimat« boten nur wenige Anknüpfungspunkte, im Gegenteil. Bis es soweit war, sollte noch ein knappes Jahrzehnt vergehen.
In der Beurteilung dessen, was die Warnungen des Club of Rome mit dem Kapitalismus zu tun haben könnten, gab es unterschiedliche Positionen. Die »Marxistischen Blätter« sahen das Großkapital als Hauptschuldigen für die Umweltzerstörung, während die Bundesregierung sowie die Massenmedien alle Menschen gleichermaßen in die Pflicht nehmen würden. Heute spricht man vom sogenannten Anthropozän und meint das Gleiche: Die Profite auf Kosten der Umwelt kommen wenigen zugute, während die ökologische Schuldenlast gleichmäßig auf alle verteilt werden soll. Zudem wurde argumentiert, dass die Rufe nach Mäßigung gewerkschaftliche Forderungen nach mehr Lohn untergraben und die Arbeiter*innenklasse zum Stillhalten animieren würden. Einige Linke hingegen, von maoistischen K-Gruppen bis hin zu Hans-Magnus Enzensberger, suchten nach Impulsen im Fernen Osten. Das maoistische China bot ihnen mit seiner vermeintlichen Technikfeindlichkeit und den geringen (Konsum-)Bedürfnissen ein Gegenbild zum westlichen Industrialismus.
Wachstumskritik und Imperialismus
In der DDR war die ideologische Begründung für die Ablehnung der Warnungen des Club of Rome-Berichts eine andere, die Zurückweisung jedoch noch deutlich stärker. Wie eingangs von Kurt Hager demonstriert, wies die SED die Schuld an der Krise zurück. Das Ganze wurde als ein Problem des Imperialismus in der Phase seines Niedergangs bezeichnet. Die fünf Trends wurden als Krisensymptome des westlichen Kapitalismus dargestellt. Dort sei die Zeit des »Wirtschaftswunders« vorbei, während die Ökonomien in den realsozialistischen Staaten gerade erst zu wachsen anfangen. Genau in diesem Moment sei das westliche Kapital auf die Idee gekommen, mit der Wachstumsfrage die Entwicklung des Sozialismus auszubremsen. So argumentierte beispielsweise Jürgen Kuczynski, einer der bedeutendsten Ökonomen der DDR. Fortschrittsgläubigkeit bestimmte den Aufbau des Realsozialismus.
In der DDR gab es jedoch auch kritische Stimmen, vor allem von linken SED-Kritikern wie Rudolf Bahro, Robert Havemann und vor allem Wolfgang Harich. Dieser hat sich ab Anfang der 1970er Jahre intensiv mit der im Westen erscheinenden Öko-Literatur auseinandergesetzt und versucht, diese in den Marxismus einzuarbeiten. Er verzweifelte an der Uneinsichtigkeit der SED-Führung. 1975 erschien sein Hauptwerk »Kommunismus ohne Wachstum? Babeuf und der ‚Club of Rome‘«, eine direkte Reaktion auf die Krisenbefunde. Ähnlich wie die meisten Linken war er der Meinung, dass der Kapitalismus mit seinem immanenten Wachstumszwang nicht in der Lage sein werde, die multiple Krise zu lösen. Harich hielt jedoch die Perspektive eines zukünftigen Schlaraffenland-Kommunismus für nunmehr unhaltbar. Stattdessen plädierte er für eine globale Ökodiktatur, die in Bezug auf Warenzuteilung, Erziehung zu Umweltbewusstsein, Verbot des Individualverkehrs u.v.m. materielle Freiheiten einschränken sollte, um andererseits möglichst viele Freiheiten, wie eine erhaltene Umwelt für alle und ein Leben in Bescheidenheit in gerechter globaler Gleichheit, zu gewähren. Harich setzte sich damit zwischen alle Stühle, legte aber einen mindestens originellen Debattenbeitrag vor, der auch heute noch lesenswert ist.
Internationale Debatte
International reagierten viele Linke weniger distanziert auf den Bericht. Der in Brüssel lebende Trotzkist Ernest Mandel etwa begrüßte, dass die bürgerlichen Wissenschaftler*innen nun endlich auch anerkennen, was Marx schon 125 Jahre vorher aufgeschrieben hatte: Dass das Kapital durch seine Wirtschaftsweise die beiden Quellen seines Reichtums untergrabe. Noam Chomsky sah in den »Grenzen des Wachstums« auch das Ende der kapitalistischen Erzählung, dass alle etwas vom immer weiter wachsenden Kuchen abbekommen können. Auch Herbert Marcuse sah die Systemfrage als unumgänglich. Er wollte, dass Armut und Ungleichheit global überwunden werden. Möglicherweise sei dazu weiteres Wachstum notwendig, allerdings in qualitativ und quantitativ anderer Form als das kapitalistische.
Fünf Jahrzehnte später sind die vom Club of Rome aufgeworfenen Probleme weiterhin ungelöst. Der Kapitalismus ist nicht in der Lage, seine systemimmanent angelegten Probleme lösen zu können, das beweist er immer wieder. Linke mit Weitsicht erkannten das schon vor einem halben Jahrhundert und versuchten, rot und grün zusammen zu denken. Vollumfänglich hat das bis heute nicht geklappt. Diesbezüglich gibt es hier eine gewisse Trägheit, die der Krise nicht angemessen erscheint und für eine Distanz der Klimabewegung zu linken Parteien und Gewerkschaften sorgt.
Alexander Amberger ist Politikwissenschaftler und hat zu den Postwachstumsutopien von Bahro, Harich und Havemann promoviert. Er ist Mitarbeiter bei „Helle Panke“ e.V. – Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin.