Imperialismus und Kolonialismus – Kampf um historische Deutungen und reale Politik

Erschienen in: „Z. Zeitschrift marxistische Erneuerung“, Heft 138, Juni 2024, S.191-193.

Bericht über die Konferenz am 27. November 2023 im Afrikahaus, Berlin, veranstaltet von „Helle Panke“ e.V. – Rosa-Luxemburg-Stigtung Berlin in Kooperation mit dem Afrikahaus Berlin 

Stefan Bollinger (Historiker, Berlin) leitete für die Veranstalter die Konferenz »Von wegen Postkolonialismus. Imperialismus und Kolonialismus – Kampf um historische Deutungen und reale Politik« mit einem historischen Rückblick ein. Zwar sei das Zeitalter des klassischen Kolonialismus vorbei, die Nachwehen spürten wir
aber bis heute. Bollinger gab der Konferenz fünf Überlegungen mit auf den Weg: 1.) Derzeit finde eine Neuordnung der Welt zwischen dem globalen Süden und der westlichen Welt statt. Moskau und Peking spielten hier eine Rolle als alternative Bezugspunkte. 2.) Kolonialismus brauche, erobere und verwandele Kolonien und ihre Rohstoffe, Arbeitskräfte und Absatzmärkte in Profit. Dieser Imperialismus funktioniere bis heute in wechselnden Formen und Intensitäten. 3.) Ein Wiedererwachen der Unterdrückten sei zu beobachten. 4.) Der Kolonialismus habe die Form gewandelt, es seien neue Abhängigkeiten entstanden, die nun anders bezeichnet würden. Nach dem Ende des Kalten Krieges habe der Westen seine Vereinnahmungsstrategien angepasst, wenngleich die Auswirkungen, Abhängigkeiten und Bevormundungen geblieben seien. 5.) Es werde sich zeigen, ob wir mittelfristig ein Ende dieser westlichen Dominanz erleben. Eine multipolare Weltordnung mit China und Russland als neuen Partnern, die zwar kapitalistisch seien, aber eventuell weniger imperialistisch, könnten die alten kolonialen Strukturen durch neue globale Zusammenarbeit überwinden helfen, so Bollinger.
Oumar Diallo vom gastgebenden Afrikahaus blickte anschließend auf die dreißigjährige Geschichte seiner Institution zurück und gab autobiografische Hintergründe preis. Geboren in Guinea (Conakry), kam er Anfang der neunziger Jahre nach Berlin und gründete mit ein paar Gleichgesinnten den Farafina e.V., der das
Afrikahaus betreibt. Der Verein hat sich zu einem Ort der Aufarbeitung dieser Geschichte in Berlin entwickelt. So wurden u. a. 27 Orte der Kolonialgeschichte in Berlin-Mitte für eine Ausstellung und einen Stadtführer kartografiert, zudem werden Rundgänge angeboten. Diallo erinnerte an die Völkerschauen im Kaiserreich, bei denen afrikanische Menschen in ihrer »natürlichen Umgebung« ausgestellt wurden.
Der Historiker Ulrich von der Heyden (Berlin) machte in der anschließenden Diskussion darauf aufmerksam, dass bei der Kongokonferenz 1884/85 nicht die afrikanischen Staatengrenzen gezogen wurden, wie es in der Geschichtsschreibung fälschlich heiße, sondern man habe nur die Regeln dafür vereinbart, wie die Kolonialreiche die Grenzziehung organisieren könnten. Bevor die Staaten als Akteure ins Spiel kamen, hätten bereits Handelskompanien ihre Gebiete abgesteckt. In der Diskussion wurde verdeutlicht, dass der Begriff »Postkolonialismus« die Gefahr einer Verengung mit sich bringe, da er suggeriere, dass das Zeitalter des Kolonialismus vorbei und dass er auf Nationalstaaten als Akteure begrenzt geblieben sei.
Nina Paarmann (Historikerin, Berlin), per Zoom von einem Forschungsaufenthalt in Ghana zugeschaltet, sprach zum Thema »Der europäische Nationalstaat als koloniales Gendernarrativ« am Beispiel Ghanas. Seit 1957 unabhängig, war das Land nicht nur britisch besetzt, sondern zuvor bereits – und vor allem an der Goldküste – von vielen europäischen Ländern kolonisiert. Nach der Kongokonferenz sei die Christianisierung Afrikas forciert worden. Die Kirchen begannen mit einer umfassenden Missionierung. In Westafrika entstanden einflussreiche Missionsschulen, die ein hierarchisches Genderkonzept nach viktorianischem Gesellschaftsmodell umzusetzen versuchten. Frauen sollten sich um Haushalt und Kinder kümmern, Männer im Rahmen des kapitalistischen Kolonialismus ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen. Frauen seien entmachtet und in eine unterlegene Rolle gedrängt worden, denn bis dahin hätten sie sich mit den Männern die politische Macht in den Gemeinschaften geteilt. Zwar habe es kein Matriarchat gegeben, aber z. B. sei das Erbrecht über die mütterliche Linie gelaufen. Nach der Unabhängigkeit Ghanas Anfang der 1960er Jahre begannen Umbruchzeiten, in denen die Frauen von einer anfänglichen verbesserten Gleichstellung wieder nach westlichem Muster in ein schlechter gestelltes Rollenbild gerückt seien, wenngleich nach dem aktuellen Gesetz Männer und Frauen gleichberechtigt sind. Paradoxerweise würden heutzutage vor allem von einflussreichen evangelikalen Sekten angeblich tradierte Rollenbilder hochgehalten, die es früher in Ghana
überhaupt nicht gegeben habe – um heutige westliche Genderpolitiken abzuwehren.
Über die Chancen und Grenzen der Aufarbeitung deutscher Kolonialgeschichte … weiterlesen.